"Und nicht
nur das natürliche Schicksal verteilt die Startbedingungen ungleich; auch das
Sozialschicksal
ist zu den Menschen nicht fair. Der eine findet in seiner Familie die besteAusgangssituation vor; einer behüteten Kindheit folgt eine erfolgreiche Karriere. Der andere
ist zeitlebens von den Narben der sozialen Verwahrlosung gezeichnet und kommt keinen
Schritt voran. Der Markt ist keinesfalls eine Glücksschmiede für jedermann, er ist ungerecht,
denn er macht keinerlei Unterschiede. Er reagiert auf die unterschiedlichen
Ausgangspositionen der Individuen gleich; und das führt dazu, daß die, die ohnehin schon
bevorzugt sind, belohnt werden, und die, die ohnehin bereits benachteiligt sind, bestraft
werden, obgleich weder die einen ihre natürliche und soziale Besserstellung noch die anderen
ihre natürliche und soziale Schlechterstellung verdient haben.
Würden wir allein den Markt als Verteilungsregel gesellschaftlicher Güter akzeptieren, dann,
so argumentieren die Egalitaristen, würden wir uns dem Diktat der moralisch
unverantwortlichen Natur und der kontingenten sozialen Herkunft unterwerfen. Es gehört
aber zu der Grundüberzeugung des egalitären Liberalismus, daß sich ein gesellschaftliches
Verteilungssystem die Verteilungskriterien gesellschaftlicher Güter nicht durch die
willkürlichen Fähigkeitsverteilungen der Natur und das unterschiedliche Sozialschicksal
vorgeben lassen darf. Es darf sich nicht einer naturwüchsigen Entwicklung überlassen, die die
Willkür der natürlichen Begabungsausstattungen und die Zufälligkeit der Herkunft in den
gesellschaftlichen Bereich hinein verlängert und sozio-ökonomisch potenziert. Aufgabe eines
gesellschaftlichen Verteilungssystem ist es vielmehr, die Verteilungskriterien autonom und
einvernehmlich festzulegen und die natürliche Verteilungswillkür hinsichtlich der Fähigkeiten
als auch die Zufälligkeit der sozialen Startpositionen auf der Grundlage vernunftbegründeter
Gerechtigkeitsregeln zu korrigieren. Egalitaristische Gerechtigkeit zielt auf
Dekontingentisierung der natürlichen und sozialen Umstände der individuellen
Lebenskarriere. S. 66f. "
Was
wieder mal nicht so deutlich wird, ist es nun die Meinung Kerstings, oder gibt
er nur die Meinung der egalitären
Liberalisten wider. Manchmal könnte man den Eindruck gewinnen, Kersting sucht
sich da so ein bißchen
raus, da wo er auch einer Meinung ist, schreibt er in Ich-Form, in den anderen
Fällen schreibt er in der
Es-Form.
Zum
Markt: Hier begeht Kersting einen kleinen Fehler. Die Natur ist weder moralisch
noch unmoralisch, sie ist
amoralisch, jedenfalls in Bezug auf Gerechtigkeit. Und genauso ist es mit dem
Markt, er ist nicht ungerecht,
aber auch nicht gerecht. Die Frage der Gerechtigkeit stellt sich für den Markt,
isoliert betrachtet nicht.
Der Markt funktioniert und das ist alles.
ABER:
selbstverständlich ist der Markt, mehr als die Natur, etwas, was von
Menschenhand entworfen wurde, und
deshalb spielt die Moral immer mit hinein, aber dann muß man dies auch genau
verorten.
Aus
integraler Sicht würden wir hier innerhalb des 4-Quadranten-Modells sagen, die
Art des Marktes ist eine gesellschaftliche
Institution und gehört damit in den Quadranten unten rechts und der Sinn des
Marktes ist es, einfach
Wahrheit zu schaffen im Sinne von objektiven Tatsachen.
Die Regeln
des Marktes aber werden in einem kulturellen Austausch getroffen, sie werden
intersubjektiv getroffen
und damit ist dieser Teil im linken unteren Quadranten anzusiedeln und hier
wird nach der Frage des Guten,
nach der Frage der Moral entschieden.
Diese beiden
Seiten unterscheidet Kersting nicht klar, sie sind zugegebenermaßen ja auch
zwei Seiten einer Medaille,
aber sie können nicht aufeinander reduziert werden, das ist der Punkt.
Was
Kersting dann macht, nämlich zu erklären, das das philosophische Ziel des
egalitären Liberalismus sei, Moral ins
Spiel zu bringen und damit über eine traditionelle utilitaristische Grundlegung
des Wohlfahrtsstaates
hinausgeht, das ist im Grunde nur die Betonung des linken unteren Quadranten,
der ganz richtig
genauso wichtig ist wie der rechte untere Quadrant. Aber der Utilitarismus
verletzt in der Beziehung eigentlich
nichts, er ist nur unvollständig. Er verletzt dann etwas, wenn er behauptet,
nur seine Theorie wäre richtig,
dann wäre das Quadrantenabsolutismus, der rechte untere Quadrant würde die
anderen Quadranten beherrschen.
Außerdem
gefällt mir die Art und Weise der Erklärung von Kersting nicht, was die
Unterscheidung von Natur und Moral
angeht. Hier verwechselt er Quadranten mit Ebenen, einmal rekurriert er bei
seiner Kritik am Markt auf
den Quadranten rechts, ein andermal auf eine Ebene, die unterhalb der
menschlichen Entwicklung liegt,
auf die Biosphäre. Der Mensch ist ja gerade Mensch weil er sich über eine
naturwüchsige Entwicklung hinaus
entwickelt hat, deshalb KANN und DARF der Mensch mehr als die Natur,
Gerechtigkeit einfordern.
von
onlineredakteur @ 29.11.11 - 12:25:48
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