Montag, 28. September 2015

Die Verteilungsgerechtigkeit des egalitären Liberalismus bei Kersting (2011)

Heute ein Zitat von Kersting, in dem er beschreibt wie die egalitären Liberalisten den Markt sehen. Markt verstanden als der ökonomische Handelsplatz, der die Verdienste und damit den Unterhalt der Menschen regelt.

"Und nicht nur das natürliche Schicksal verteilt die Startbedingungen ungleich; auch das
Sozialschicksal ist zu den Menschen nicht fair. Der eine findet in seiner Familie die beste
Ausgangssituation vor; einer behüteten Kindheit folgt eine erfolgreiche Karriere. Der andere
ist zeitlebens von den Narben der sozialen Verwahrlosung gezeichnet und kommt keinen
Schritt voran. Der Markt ist keinesfalls eine Glücksschmiede für jedermann, er ist ungerecht,
denn er macht keinerlei Unterschiede. Er reagiert auf die unterschiedlichen
Ausgangspositionen der Individuen gleich; und das führt dazu, daß die, die ohnehin schon
bevorzugt sind, belohnt werden, und die, die ohnehin bereits benachteiligt sind, bestraft
werden, obgleich weder die einen ihre natürliche und soziale Besserstellung noch die anderen
ihre natürliche und soziale Schlechterstellung verdient haben.
Würden wir allein den Markt als Verteilungsregel gesellschaftlicher Güter akzeptieren, dann,
so argumentieren die Egalitaristen, würden wir uns dem Diktat der moralisch
unverantwortlichen Natur und der kontingenten sozialen Herkunft unterwerfen. Es gehört
aber zu der Grundüberzeugung des egalitären Liberalismus, daß sich ein gesellschaftliches
Verteilungssystem die Verteilungskriterien gesellschaftlicher Güter nicht durch die
willkürlichen Fähigkeitsverteilungen der Natur und das unterschiedliche Sozialschicksal
vorgeben lassen darf. Es darf sich nicht einer naturwüchsigen Entwicklung überlassen, die die
Willkür der natürlichen Begabungsausstattungen und die Zufälligkeit der Herkunft in den
gesellschaftlichen Bereich hinein verlängert und sozio-ökonomisch potenziert. Aufgabe eines
gesellschaftlichen Verteilungssystem ist es vielmehr, die Verteilungskriterien autonom und
einvernehmlich festzulegen und die natürliche Verteilungswillkür hinsichtlich der Fähigkeiten
als auch die Zufälligkeit der sozialen Startpositionen auf der Grundlage vernunftbegründeter
Gerechtigkeitsregeln zu korrigieren. Egalitaristische Gerechtigkeit zielt auf
Dekontingentisierung der natürlichen und sozialen Umstände der individuellen
Lebenskarriere. S. 66f. "

Was wieder mal nicht so deutlich wird, ist es nun die Meinung Kerstings, oder gibt er nur die Meinung der egalitären Liberalisten wider. Manchmal könnte man den Eindruck gewinnen, Kersting sucht sich da so ein bißchen raus, da wo er auch einer Meinung ist, schreibt er in Ich-Form, in den anderen Fällen schreibt er in der Es-Form.

Zum Markt: Hier begeht Kersting einen kleinen Fehler. Die Natur ist weder moralisch noch unmoralisch, sie ist amoralisch, jedenfalls in Bezug auf Gerechtigkeit. Und genauso ist es mit dem Markt, er ist nicht ungerecht, aber auch nicht gerecht. Die Frage der Gerechtigkeit stellt sich für den Markt, isoliert betrachtet nicht. Der Markt funktioniert und das ist alles.

ABER: selbstverständlich ist der Markt, mehr als die Natur, etwas, was von Menschenhand entworfen wurde, und deshalb spielt die Moral immer mit hinein, aber dann muß man dies auch genau verorten.

Aus integraler Sicht würden wir hier innerhalb des 4-Quadranten-Modells sagen, die Art des Marktes ist eine gesellschaftliche Institution und gehört damit in den Quadranten unten rechts und der Sinn des Marktes ist es, einfach Wahrheit zu schaffen im Sinne von objektiven Tatsachen.

Die Regeln des Marktes aber werden in einem kulturellen Austausch getroffen, sie werden intersubjektiv getroffen und damit ist dieser Teil im linken unteren Quadranten anzusiedeln und hier wird nach der Frage des Guten, nach der Frage der Moral entschieden.

Diese beiden Seiten unterscheidet Kersting nicht klar, sie sind zugegebenermaßen ja auch zwei Seiten einer Medaille, aber sie können nicht aufeinander reduziert werden, das ist der Punkt.

Was Kersting dann macht, nämlich zu erklären, das das philosophische Ziel des egalitären Liberalismus sei, Moral ins Spiel zu bringen und damit über eine traditionelle utilitaristische Grundlegung des Wohlfahrtsstaates hinausgeht, das ist im Grunde nur die Betonung des linken unteren Quadranten, der ganz richtig genauso wichtig ist wie der rechte untere Quadrant. Aber der Utilitarismus verletzt in der Beziehung eigentlich nichts, er ist nur unvollständig. Er verletzt dann etwas, wenn er behauptet, nur seine Theorie wäre richtig, dann wäre das Quadrantenabsolutismus, der rechte untere Quadrant würde die anderen Quadranten beherrschen.

Außerdem gefällt mir die Art und Weise der Erklärung von Kersting nicht, was die Unterscheidung von Natur und Moral angeht. Hier verwechselt er Quadranten mit Ebenen, einmal rekurriert er bei seiner Kritik am Markt auf den Quadranten rechts, ein andermal auf eine Ebene, die unterhalb der menschlichen Entwicklung liegt, auf die Biosphäre. Der Mensch ist ja gerade Mensch weil er sich über eine naturwüchsige Entwicklung hinaus entwickelt hat, deshalb KANN und DARF der Mensch mehr als die Natur, Gerechtigkeit einfordern.

von onlineredakteur @ 29.11.11 - 12:25:48

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