Mittwoch, 11. Mai 2016

Die Lange Nacht des Grundeinkommens 2. Mai Theater Basel

Die Lange Nacht des Grundeinkommens am 2. Mai im schweizerischen Basel war nicht die erste Veranstaltung dieser Art aber wieder eine wirklich gelungene Aktion um das Thema Bedingungsloses Grundeinkommen in den Medien nach vorne zu pushen.
Die Schweiz stimmt im nächsten Monat nach dem Einbringen einer Volksinitiative über die Einführung eines Grundeinkommens ab. Im Moment sind die Initiatoren mächtig am Werbung machen, auch ein Tanz der Roboter stand neulich auf dem Programm.
Schon vorab kann man sagen, dass die Schweizer, die dieses Thema auf ihre Agenda gesetzt haben, wirklich sehr motiviert sind und künstlerisch wie auch im diskursiven Austausch wertvolle Akzente in der Medienlandschaft gesetzt haben.

So war auch diese Veranstaltung ein Beispiel gelebter Demokratie und man darf allen Beteiligten, auch denen, die sich explizit gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen haben, dennoch ein Kompliment für diese sehr anregende Diskussion machen. Nur in dieser Art des Austauschs von Argument und Gegenargument kann sich ein realistisches Bild, ein Bild des Machbaren mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen bilden.
Zumal man ehrlicherweise dazusagen muß, dass die Grundeinkommensbefürworter, so mein Eindruck am Veranstaltungsort in der Mehrzahl waren und es zumindest Mut benötigte, sich dieser Mehrheit entgegenzustellen.
Entscheidend ist am Ende doch der Wille eine Idee zu diskutieren und sie mit eigenen Gedanken zu bereichern oder zu entscheiden, diese Idee aufgrund von triftigen Gründen zu hinterfragen.

Die Rahmenbedingungen waren jedenfalls top und die Art der Veranstaltung super organisiert. Angesichts einer langen Zeit von rund 6 Stunden war es auch nötig die Aufmerksamkeit der Zuhörer nicht überzustrapazieren oder zu langweilen.

Nach Langeweile gab es meiner Meinung nach keinen Anlass.
Zugegeben, alles hab ich im Moment noch nicht gesehen, aber ca. 70% der Veranstaltung.
Was ich sagen kann, es hat mir sehr gefallen wie sich die Moderation abgewechselt hat, wie die Veranstaltung in verschiedenen Runden aufgeteilt wurde, immer mit einem thematischen Schwerpunkt, und wie die Art der Diskussion aufgezogen war. Zwei Diskussionspartner standen sich in einem Ring, einem Boxring gegenüber. Dieses Bild war auch bewußt so gewählt worden da es immer um Pro und Contra ging. Ein Moderator stellte die Fragen und die Diskussionspartner antworteten darauf. Als interessanten Zusatz zu den zwei im Ring stehenden gab es die jeweils aus einer Person bestehenden Zwischenrufer, die ausserhalb des Ringes auf einer Extra-Bank Platz nahmen und bei Bedarf ihr Statement einwerfen konnten. Eine tolle Idee, es entwickelte sich dadurch eine sehr dynamische Diskussion.

Besonders hervorheben möchte ich hier v.a. den Moderator der Runden Daniel Binswanger, der sich durch seine wohlformulierende Art ein angenehmes aber doch auch forderndes Diskussionsklima schuf als auch den Künstler W. Strutzenberger, der jede Runde mit einem künstlerischen und auch nachdenklich stimmenden Prolog einleitete. Das Niveau der Veranstaltung erreichte damit wirklich einen sehr gehobenen Standard.

Als Deutscher sei noch ergänzend hinzugefügt, der Schweizer Dialekt in seinen vielen Facetten ist immer wieder Grund zum Schmunzeln für einen Außenstehenden. Das mußte ich jedenfalls immer mal wieder beim Moderator Daniel Binswanger, der so einen rollendes 'R' herausbrachte, das man meinen könnte, er sei ein Amerikaner mit Schweizer Akzent.
Etwas merkwürdig ist auch, dass es mir zumindest oft etwas schwerfällt, den Schweizern so etwas wie ein energisches bis aggressives Auftreten zuzugestehen einfach weil der Dialekt meistens so nach Gemütlichkeit klingt, das ich denke, Schimpfen ist ein Fremdwort für die Schweizer.

Zurück zum Thema. Am Anfang gab es passend zum Austragungsort, dem Theater in Basel, erstmal einen künstlerischen Einstieg ins Thema bevor es dann gleich zu den Hauptfragen ging, die jeder, der sich mit dem Thema beschäftigt auf die ein oder andere Weise schon gehört hat oder selber gestellt bekommen hat: "Wie ist es finanzierbar?", "Wer geht dann noch arbeiten?", "Kommen dann noch mehr Ausländer / Flüchtlinge zu uns?" und "Werden dann alle anderen Sozialleistungen gestrichen?"

Hierzu kann ich noch nicht viel sagen, da ich nur bei der letzten Frage bisher die Argumente gehört habe. Einen Einwurf der Contra-Seite hatte ich mir notiert, da er für mich interessant klang, nämlich dass die Frage, ob man noch arbeiten würde, wenn man ein BGE hätte, man anders formulieren müsste im Sinne von: 'Würde man noch arbeiten gehen und seinen Nachbarn mitfinanzieren der zu Hause bleibt?' Nun ja, da steckt wohl doch ein Vorurteil dahinter welches so einer Frage eine völlig andere Richtung gibt. Ich glaube nicht, dass man so fragen sollte zumal es ja nicht die Absicht der BGE-Befürworter ist, die Arbeit als solche zu diskreditieren, es geht um einen anderen Ansatz, wie ich meiner Arbeit im Leben begegne.

Diese Problemlage bringt mich gleich dazu, etwas anzuknüpfen. Kritiker könnten nämlich sofort einwenden, ja aber das habt ihr doch selbst gesagt, ihr wollt die Arbeit abschaffen. In der Tat, in einem sehr klugen Prolog sagt Künstler Strutzenberger: "Sozial ist, wer Arbeit abschafft!" Sehr provokante These aber wohl eine Überlegung wert. Sein Beispiel des Müllentsorgens traf es sehr wohl, allerdings ist das halt nur der Müll. Müll ist vielleicht etwas, um das man sich selber kümmern könnte oder sollte. Aber es gibt natürlich jede Menge andere Arbeit, die man eben nicht selber erledigen kann. (Selbst beim Müll kann man letztlich auch nur alles in die passende Tonne hauen, aber den Müll wieder verwertbar machen, das machen dann doch andere). Ich denke, der provokante Satz "Sozial ist, wer Arbeit abschafft!" ist etwas ungenau wenn auch nicht falsch aber eben deshalb eine große Spielwiese für Spekulationen. Man müsste hier schon genauer definieren, was man mit Arbeit meint. Bei meinen Überlegungen stoße ich auf die Schwierigkeit, Arbeit in einem bestimmten historischen Moment zu erfassen, da die Geschichte aber fliessend ist, ist Arbeit, die man gestern hatte heute keine Arbeit mehr weil es anders gelöst wurde.
Der Übergang vom analogen ins digitale Zeitalter zeigt ja sehr schön wie Arbeit sich verändert hat. Brauchte ich früher sehr viel Konzentration ein Blatt Papier mit der Schreibmaschine korrekt einzutippen so geht das heute viel einfacher mit digitaler Software weil ich meine Eingaben immer und immer wieder korrigieren kann und somit flexibler bin. Man spart Papier, ja auch der Drucker steht heute zu Hause, auch das ging früher nicht, man erledigt also vieles selbst. Insofern hat man Arbeit abgeschafft von einem kollektiven Problem (kollektiv deshalb weil es eher jemanden bedurft hätte, der Schreibmaschine schreiben kann und jemand der drucken kann - so etwas kann man heute individuell zu Hause machen) hin zu einer individuellen Arbeit. Denn nichtsdestotrotz hört Arbeit deshalb nicht auf, sie hat sich nur verschoben. Wenn der Drucker kaputt geht, brauch ich Ersatz, das Einarbeiten in die neue Schreibsoftware erfordert Bücher oder andere Hilfsmittel wenn nicht sogar Menschen, die dies in Workshops vermitteln usw. Also müsste man den Satz letztlich erweitern und sagen: "Sozial ist, wer sinnlos gewordene Arbeit abschafft und sie durch sinnvollere Arbeit ersetzt"! Was sinn- oder sinnlos ist, ist wiederum Bestandteil gesellschaftlicher Diskursdebatten so wie geschehen bei dieser Langen Nacht des Grundeinkommens. Ein Ende der Arbeit jedenfalls propagiert keiner der BGE-Befürworter.

Einen Vorwurf der Contra-Seite zum Thema Arbeit möchte ich noch herausarbeiten, da sich darin viele weitere kleine Problemstellungen ergeben. Es war mal wieder ein typischer Gewerkschafter-Ausspruch, der da kam: "Erwerbsarbeit ist der zentrale Integrationsfaktor in der Gesellschaft" - weshalb man auf Erwerbsarbeit überhaupt nicht verzichten kann und BGE-Befürworter genau diese Integrationsleistung von Erwerbsarbeit für die Gesellschaft ignorieren und damit gerade die Gesellschaft spalten wenn sie die Bedeutung der Erwerbsarbeit schmälern. Ein typischer Vorwurf, der aber so für sich gesehen auch nicht stimmt. Denn Erwerbsarbeit ist immer auch Konkurrenzarbeit, die Arbeit gegen das Konkurrenzunternehmen. Zumindest in der kapitalistischen Gesellschaft. Ist dem so, dann ist die so hoch gelobte Integrationsleistung von Erwerbsarbeit nicht mehr ganz so sonnig, wie man es zunächst glauben mag. Denn Unternehmen interessieren sich in erster Linie am Gewinn, natürlich und sehr oft auch für eine Integration des Unternehmens in das gesellschaftliche Umfeld, aber letztlich ist doch klar, dass viele Unternehmen aus Konkurrenzgründen pleite gegangen sind und die sog. Arbeitnehmer arbeitslos wurden und damit also Erwerbsarbeit nicht per se ein Integrationsfaktor für die Gesellschaft ist sondern nur dann, wenn sie nicht in einem überbordenden Konkurrenzdenken stattfindet.

Darüberhinaus ist Erwerbsarbeit nicht alles. Jetzt wurde dies in der Diskussion auch angesprochen und was sagt der Gewerkschafter dazu: Ja, man müsse auch die anderen Arbeiten, er sprach von informellen Arbeiten genauso als Erwerbsarbeit betrachten und bezahlen!!! Also all die ehrenamtliche Tätigkeit und die Erziehungsarbeit usw. (https://youtu.be/mjdI3LSGa0Y?t=16m57s)
Aber ich glaube, genau das wäre ein Riesenfehler, es wäre die Durchökonomisierung aller Lebenswelten und Bereiche, die es gibt und genau das halte ich für den völlig falschen Denkansatz. Es würde bedeuten im Extremfall zu Ende gedacht, dass jedes Gespräch oder jede Tätigkeit unter Familienangehörigen unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet sein müsste. Ich müsste dafür zahlen, dass mir mein Vater oder Mutter etwas beibringt, Fahrrad fahren beispielsweise usw. Genau weil das ein Ding der Unmöglichkeit ist und auch nicht wirklich gewollt sein kann, ist nur ein BGE hier die richtige Alternative. Ein BGE, das einfach so gegeben wird, dass nicht fragt, wieviel hast Du in die soziale, kulturelle Arbeit zu Deinen Verwandten, Freunden und sonstigen Angehörigen investiert und gegeben weil sich diese Art von Arbeit nicht nach diesen Maßstäben bemessen lässt.

An dieser Aussage von dem Gewerkschafter merkt man eben wie sehr dieser Mensch noch in den traditionellen Denkmustern liegt, das Erwerbsarbeit alles ist und alles rundherum nichts. Das bereits von der KAB entwickelte Modell der Dreiteilung der Arbeit in Erwerbsarbeit, Kulturarbeit und Eigenarbeit ist dringend als Lektüre den Gewerkschaftern zu empfehlen.

Andererseits ist mir dieses Thema schon in einem anderen Zusammenhang aufgefallen, worüber ich nachgedacht hatte, aber letztlich noch keine abschließende Meinung dazu entwickeln konnte. Nämlich in Zusammenhang mit solchen Apps wie Uber, dem Taxiunternehmen. Auch hier wurde nämlich bereits in Presseartikeln angemerkt, dass diese Art von neuer Dienstleistung eine weitere Ökonomisierung des Privaten bedeute, also in Bereiche eindringt, die bisher nicht ökonomisch betrachtet wurden. Trampen ist out, man muß sich in Apps anmelden um eine früher als nette Freundschaftstat geltende Tätigkeit heute als Dienstleistung zu betrachten an den andere verdienen wollen.

Dies bringt mich auch gleich zu dem Punkt, der natürlich auch eine große Rolle bei der Begründung für ein BGE spielte, nämlich die Digitalisierung, Industrie 4.0 usw. All die Stichworte, die eben darauf aufmerksam machen wollen, dass Arbeitsplätze in weitaus höherem Maße als zuvor verloren gehen werden und um das aufzufangen, es eben ein BGE benötigt.
Ja, die zunehmende Technisierung kann man definitiv nicht leugnen und es ist, das sollte man sich auch klar vor Augen führen erst der Anfang. Die digitale Welt ist gerade erst geboren und macht ihre ersten Schritte. Wenn die Entwicklung weitergeht, dann wird es bald ganz neue Welten der Digitalisierung geben, von denen wir heute wahrscheinlich kaum zu denken wagten.

Ein wichtiger Punkt, der auch von der Pro-Seite erwähnt wurde, war die Lernfähigkeit der heutigen Maschinen. Was immer man nun genau unter Lernfähigkeit versteht weiß ich zwar nicht, aber es ist definitiv eines der Grundvoraussetzungen für so etwas wie künstliche Intelligenz. Die ersten Versuche in dieser Richtung scheiterten jeweils an der Unmöglichkeit, dass Maschinen lernfähig waren. Sollten sie es jetzt werden, wäre das in der Tat ein Riesenschritt in Sachen Technisierung.

Aber wie Häni es formulierte, er möchte kein Bedingungsloses Grundeinkommen nur als Konsument.
Das ist in der Tat eine der Vorstellungen, die so gesehen Unwohlsein hervorruft. Stellt Euch vor, man ist umgeben von Maschinen, die einen füttern, pflegen, herumfahren usw. Die einem alles abnehmen, was macht man dann noch als Mensch? Das ist eine Entwicklung, die so nicht passieren dürfte, denn der Mensch schafft sich nicht selbst ab, oder? Ist der Roboter der neue Evolutionsschritt der Natur? Ich kann es mir nicht vorstellen weil ich glaube, dass der Mensch an sich alle Möglichkeiten und Fähigkeiten in sich selbst trägt, so dass er gar keine Maschinen braucht. Aber bis dahin ist es sicher noch ein weiter Weg und Maschinen sind bis dato ein wertvoller Ersatz aber sie können nur einen Teil der Arbeit des Menschen ersetzen, nicht alles. Ja, mehr noch und damit schließt sich der Kreis zum oben genannten erkenntnisprovozierenden Satz "Sozial ist, wer Arbeit abschafft", am Ende wird ein menschliches Miteinander nur dann gelingen, wenn die Menschen sich die Arbeit machen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Eine Maschine kann die gesellschaftlichen Probleme nicht lösen nur zuarbeiten. Wenn eine Maschine doch mehr kann, wäre das vielleicht das Ende der Menschheit, oder?

Interessant in diesem Zusammenhang auch die Frage, ob die derzeitige technische Entwicklung mit ihren Schlagworten 'Digitale Revolution' oder 'Industrie 4.0' nicht als technische Kompetenz die Voraussetzung schaffen für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Daniel Häni verneint dies zunächst mit einem Verweis auf Andreas Gross und der Aussage, das es heute andere Zugänge zu dieser Idee gäbe aber ich weiß weder auf was er sich genau bei dem Verweis auf Andreas Gross bezieht noch welche Zugänge er genau meint, das macht er auch nicht weiter öffentlich, stattdessen widerspricht er sich eigentlich fast selbst indem er den für mich wesentlich wichtigeren und richtigeren Satz sagt: "Der Sozialstaat war die Antwort auf die Industrialisierung - das BGE die Antwort auf die Digitalisierung" - genau das ist auch mein Ansatz und deshalb ist es vielleicht gerade eben erst in unserer heutigen Zeit mit dem gewaltigen technologischen Quantensprung ins digitale Zeitalter möglich bzw. sogar nötig ein BGE einzuführen.

Andererseits, und das kann man sicher auch als Zweifel im Hinterkopf behalten, wird auch eine Gesellschaft, die so durchtechnisiert ist, irgendwann an ihre Grenzen und inneren Widersprüche stoßen.
Der Widerspruch wird bereits in den Worten von Frau Göhler deutlich, die zu einer Entschleunigung aus ökologischen Gründen mahnt, also im Grunde weniger Wachstum während der Fan von Technologie Richard Eisler ganz enthusiastisch von immer mehr Technologie schwärmt, was sich doch als Gegensatz auftut für mein Empfinden. Eine endgültige Antwort kann es darauf sicher nicht geben, aber Fakt ist, dass die Herstellung von neuen Produkten in Zukunft mehr und mehr durch regenerative Energien erfolgen muß. Und das die Produkte selber umso besser sind umso mehr sie selber wieder regenerativ umgewandelt werden können.

Ein wichtiger Punkt für mich ist, die Einführung eines BGE realistisch zu betrachten. Ich habe bei dem ein oder anderen Befürworter des BGE in diesen Diskussionen noch zu viel Schwärmerei und Idealisierung ausgemacht. Das ist sicher am Anfang einer Idee immer so, das man alles in Rosa sieht, gar keine Frage. Aber zur weiteren Durchsetzung einer Idee kann nur eine kräftige Portion Pragmatismus helfen um von der Idee zur Realität zu kommen. Und das heißt, sich mit den gegebenen Situationen zu arrangieren und daraus schöpferisch neues zu entwickeln, was am Ende aber nicht so toll sein wird wie die Idee im Idealzustand. Es wird immer Kompromisse und Zwänge geben und damit wird aus dem Idealzustand einer Gesellschaft mit BGE immer etwas sehr ernüchterndes, was dann problematisch wird wenn man eben vorher zuviel idealisiert hat. Dann macht sich Enttäuschung breit.

Hierzu ein Beispiel aus der Runde zur Frage der Macht. Die Pro-Seite in Person von Andreas Gross argumentierte, dass der Mensch mit einem BGE mehr Zeit zu Demokratie bzw. zum Nachdenken hat. Dies kann man sicherlich so teilen aber das Bild, was Andreas Gross dabei entwirft, zeichnet eine Gesellschaft, die im heutigen Zustand im Grunde nur aus Unterdrückern und Unterdrückten besteht, was man als Überzeichnung feststellen darf und was auch von der Contra-Seite wenig später so angegriffen wurde. Die Unterdrückten werden dabei idealisiert, in dem Sinne, dass alle Unterdrückten mit einem BGE dann ihre Kreativität und Gestaltungskraft frei zum Wohle der Gesellschaft entfalten könnten weil sie dann endlich die Zeit hätten, die sie jetzt mit Erwerbsarbeit verbringen müssten.
Dies ist natürlich nur ein Idealbild, welches definitiv so nicht in der realen Welt vorkommt.
Außerdem, und das sollte man sich auch vor Augen führen, wird es immer Menschen geben, die sich dafür nicht interessieren oder noch mehr, die dagegen sein werden.
Auch hier kam ein wichtiger Hinweis von der Contra-Seite, nämlich mit Bezug auf die aktuelle politische Lage in der Schweiz um das Erstarken der eher rechtskonservativen bis rechtspopulistischen Parteien würde es keinesfalls nur ein Gewinn sein, wenn solche Kräfte ein Bedingungsloses Grundeinkommen erhielten. Das ist ja auch immer meine Rede, wir dürfen nicht vergessen, das ein BGE mit seinem Punkt der Bedingungslosigkeit für Alle eben auch die trifft, die wir vielleicht grad nicht so toll finden. Das muß man zumindest in seinen Überlegungen mit einkalkulieren. https://youtu.be/6iJZrUVCUQo?t=16m33s

Auf den Einwurf der Contra-Seite, dass sich ein Großteil der Menschen gar nicht für Politik interessiere kam zwar auch richtigerweise der Einwurf der Pro-Seite, das man die Menschen nicht unterschätzen solle, aber so toll diese Bemerkung auch ist, unterschätzen gilt für beide Richtungen sowohl für eine positive Mitgestaltung der Gesellschaft durch Menschen als auch hin zu einer negativen Richtung, in dem Menschen erfüllt von Machtgier und Neid andere Menschen zunehmend unterdrücken. Es gibt halt keine Automatismen, mit einem BGE wird die Gesellschaft nicht auf Knopfdruck besser sondern es bleibt dabei, es erfordert Arbeit an sich selbst und am anderen um die Gesellschaft zusammen zu halten und das BGE realitätsfest zu machen.

Auch das die Einführung des BGE nichts mit Zwang zu tun hätte, ist eine schwache Argumentation seitens der Pro-Seite, die gar nicht nötig gewesen wäre. Es ist so, wie es die Contra-Seite schon angemerkt hatte, am Ende eines Diskussionsprozesses muß eine Entscheidung getroffen werden und diese Entscheidung wird nur im Idealfalle eine Entscheidung sein, die alle Argumente aller Diskutierenden erfüllt. Realistischer ist eher, dass der ein oder andere Kompromiss der Teilnehmenden gemacht werden muß. Das ist erlebter Alltag, jeder wird das bestätigen können wenn es um Entscheidungsprozesse in Gruppen geht. Ob in der Familie oder auf Arbeit, unter Freunden oder im Verein, immer wird man sobald mehr als man selbst da ist, bei Entscheidungen einen gewissen Zwang ausüben weil nicht alle Bedürfnisse aller immer erfüllt sein können. Das ist im Grunde nichts Neues und wird auch heute so in der Politik bei jedweder Gesetzgebung so angewandt. Natürlich wird dann auch ein Grundeinkommen eine gewisse Form des Zwanges beinhalten denn wie schon gesagt, es werden nicht alle für ein Grundeinkommen sein, entscheidend ist nur eine vorher definierte Mehrheit.

In einer weiteren Runde zum Thema Freiheit (Was macht das BGE in Bezug auf Freiheit, ist es mehr oder weniger Freiheit) wurde auf der Pro-Seite in Person von Herrn Muschg das Stichwort Muse immer und immer wieder betont. Sehr wohl ist dieser Punkt wichtig, er könnte mit dem Begriff der Entschleunigung, den Frau Göhler einbrachte korrelieren, dennoch fehlt mir da so ein wenig das Gefühl für die richtige Balance, für das richtige Maß. Zuviel Muße ist letzten Ende ja auch nicht gut, weder für die Einzelperson noch für die Gesellschaft. Denn die gesellschaftliche Arbeit bleibt immer noch als Aufgabe da.
Jedenfalls war in dieser Runde die Abschweifung in idealisierte Zustände sehr stark vorhanden und hier konnte die Contra-Seite am meisten punkten durch die Einschaltung der Realität. Nur die Pro-Argumente von Kovce waren hier ein starkes Gegengewicht. Da zeigte sich dann auch schnell, dass der Intellekt und Pragmatismus der Contra-Seite in Person von Herrn Lüchinger begrenzt ist, er hätte es nämlich nicht verstanden was Herr Kovce gesagt hat, so seine Antwort in den Saal. Es ging dabei um die von Herrn Lüchinger selber benannten konstitutiven Elemente der schweizerischen Gesellschaft, ein starkes Individuum und ein schwacher Staat (schwach im Sinne, dass der Staat nur dann in die Belange des Individuums eingreift wenn es nötig ist). Das diese Elemente aber genauso die Voraussetzungen in einer Gesellschaft MIT BGE sein sollen, das leuchtete ihm nicht ein. Tja, das sollte dann am ehesten Herrn Lüchinger zu denken geben.
 
Was fiel mir sonst noch auf. In der Runde zum Thema Arbeit machte der Herr Minsch von der Contra-Seite eine Rechnung auf, die aufzeigen sollte, dass ein BGE letztlich doch nur so etwas wie eine Art Herdprämie für die Frau sei. Er meinte, angenommen beide würden bisher Teilzeit arbeiten, verdienten jeweils 3500 Franken, also zusammen 7000 würde die Rechnung mit einem Grundeinkommen dann so aussehen: Der Mann geht Vollzeit arbeiten, bekommt also jetzt 7000 Franken alleine (wobei man hier sein Grundeinkommen plus den Lohn zusammenrechnen muß) und die Frau, die nun zu Hause bleibt erhält zusätzlich noch die 2500 Franken Grundeinkommen womit sie unterm Strich 9500 Euro haben, also mehr als vorher. Klingt ja logisch, vergisst aber, dass die Familie noch mehr haben kann wenn die Frau jetzt auch weiterhin Teilzeit arbeitet. Was sie auch tun dürfte. Also dieses Contra-Argument lief für mich völlig ins Leere.
 
Was ein wichtiger Punkt ist, das ist die Frage, wie sich Jugendliche in so einer Situation verhalten werden, was Herr Minsch beiläufig mit erwähnte. Werden sie am Erwerbsarbeitsleben teilhaben oder eben doch eher das Abenteuer und die Freizeit suchen. Hier scheint mir in der Tat am ehesten noch eine Gefahr zu bestehen, dass ein Grundeinkommen in schiefe Bahnen gerät.
 
Am Ende muß klar sein, ein BGE ist eine Art neuer Gesellschaftsvertrag, denn der alte mit der Rente, der ist ja wie wir alle wissen im Grunde gekündigt und nur noch auf dem Papier existent. Das BGE ist ein Vertrauensvorschuss und wird nur dann funktionieren, wenn auch die noch in jugendlichen Jahren voller Tatendrang sich befindliche Generation mit dazu beiträgt. Mehr noch: Die Höhe des Grundeinkommens hängt auch von der Intensität ab, wie sich jeder in die Gesellschaft einbringt. Es ist also wichtig auch für Jugendliche zu wissen, dass sie in einer Gesellschaft mit einem BGE eine Freiheit geniessen, die gleichzeitig ein höheres Maß an Verantwortung mit sich bringt. Diesen Test müssen Jugendliche erst mal bestehen.
Gleichzeitig wäre das BGE sozusagen das Bindemittel, welches die gesamte Gesellschaft als ein Kollektiv zusammenhält. Denn noch mal: die Höhe des BGE hängt von der Beteiligung aller am Wohle der Gesellschaft ab. Das erinnert mich ein bisschen an den Sozialismus, den ich selbst erlebte, aber sollte deshalb nicht gleich in Frage gestellt werden, denn es geht hier um mehr als um Fahnen schwenken und Maidemos mit roten Nelken sondern um ein neues historisches Band zwischen allen Generationen einer Gesellschaft, etwas was sie als Gesellschaft zusammenhält und ihre Identifikation ausmacht.
 
Weiterhin bleibt hängen, dass man nicht vergessen darf, dass die heutigen Gesellschaftsinstrumente wie Rente und Sozialversicherung damals bei ihrer Einführung genauso heiß diskutiert worden waren. Mit wahrscheinlich genau denselben Bedenken wie es heute die Leute von der Contra-Seite sehen. Ein sehr wichtiger Punkt wie ich finde.
 
Als ein schönes Bild in diesem Zusammenhang bleibt mir auch der Vergleich mit der Wasserversorgung im Kopf. Früher traf sich alles am Brunnen, jeder mußte das Wasser daraus holen. Heute hat jeder seinen eigenen Wasseranschluß und die Sorge, dass dies nicht gut gehen könnte weil die Menschen nicht so viel Verantwortung hätten um mit dem Wasser sorgsam umzugehen, hat sich als unbegründet erwiesen. Klar, wir müssen es natürlich auch bezahlen, kostenlos ist es nicht, aber in der Tat, finde ich, ist auch dieser Vorgang ein schöner Beweis dafür, das Eigenverantwortlichkeit niemals eine Gesellschaft in den Ruin treiben kann sondern eher die Saat, die dafür sorgt, dass sich eine Gesellschaft entwickelt.
 
Wie wird es nun weitergehen? Hier fand ich den Realismus der Pro-Seite sehr angenehm. Man gibt sich keinen Illusionen hin und glaubt, bei der Abstimmung am 05. Juni wird man froh sein können, wenn ca. 20 % der Wähler für die Idee des BGE stimmen werden. Das ist realistisch und bewahrt vor Enttäuschungen.
 
Leider muß man, wie ich schon erwähnte, auch in der Schweiz einen massiven Rechtsruck im politischen Spektrum wahrnehmen. Insbesondere die SVP um Roger Köppel hat große Zuläufe und aufgrund der Ansichten dieser Partei ist davon auszugehen, dass es einem Großteil der Schweizer noch an der nötigen Weitsicht fehlen wird, dass ein BGE am Ende besser ist als die Angst vor Ausländern und Europa.
Kleiner Hinweis: Im Spiegel, Ausgabe 7 /2016 war ein interessanter Artikel zur Entwicklung von Roger Köppel zu einem Rechtspopulisten zu lesen. Lesen
 
Wir erleben ja nicht nur in der Schweiz sondern generell in Europa einen Rechtsruck in den Gesellschaften was die politische Richtung angeht. Das liegt insbesondere an der fehlerhaften Konstruktion Europas. Ein Europa, das eher eine Behördenbude gleicht, kann auch nicht allen Ernstes die Aufgaben lösen, die so eine Vereinigung lösen muß. Deshalb befürchte ich erst einmal wieder Katastrophen bis dann alte Strukturen zusammengebrochen sind auf denen dann endlich das freiheitliche Konstrukt einer Gesellschaft mit BGE sich bilden kann.
 
Hier noch einmal die Liste aller derzeit vorhandenen Videos auf Youtube:
 
 
 
 
 
 
 
 
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