Samstag, 31. Dezember 2016

Grundeinkommen, Automatisierung und das Märchen vom Roboter-Schlaraffenland - eine Kritik

Neulich erschien folgender Beitrag von Eric Manneschmidt auf der Webseite des Netzwerks Grundeinkommen:
 
 
In dem Beitrag ging es um die Verflechtung der Begriffe Grundeinkommen und Automatisierung in der Argumentation von BGE-Befürwortern in dem Sinne, dass diese Argumentation häufig nach dem Muster ablaufe, dass durch die Automatisierung viele Arbeitsplätze wegfallen und es deshalb als Kompensation so etwas wie ein Bedingungsloses Grundeinkommen geben müsse. Diese Argumentation möchte der Autor Manneschmidt so nicht gelten lassen und kritisierte diese Argumentation mit der Kernaussage:
 
"Das ist das Ziel des BGE und zwar eines, das nicht von technologischer Entwicklung oder der Verfügbarkeit bestimmter Rohstoffe oder Technologien abhängig ist oder sein darf. Dieses Ziel – und nicht der Verweis auf eine ohnehin nur in beschränktem Maße mögliche (und vielleicht auch nicht immer wünschenswerte) Automatisierung – ist das grundlegende Argument für ein BGE."


Das zentrale Ziel des BGE ist für den Autor "Menschen die psychisch und physisch existenziellen künstlerischen, gesellschaftlichen und sorgenden Arbeiten ohne existenzbedrohende Selbstaufopferung zu ermöglichen" und diese Forderung des BGE sei unabhängig von technologischer Entwicklung.
Was zunächst einleuchtend klingen mag ist auf den zweiten Blick selber wieder zu kritisieren, was interessanterweise der Autor selber tut aber erst in der 13. und letzten Fußnote und lediglich als Ausnahme gekennzeichnet. In Wirklichkeit ist aber diese Fußnote eminent wichtig und keineswegs als Ausnahme zu betrachten sondern ein zentraler Bestandteil bei der Betrachtung des BGE, nämlich dass auch ein BGE im historischen Kontext einer technologischen Entwicklung steht und nicht unabhängig davon ist.

Hierzu ein paar Bemerkungen:
 
Wie in der Fußnote seines Artikels schon bemerkbar, hat der Autor selber zumindest punktuell erkannt, dass sowohl Geldsystem als auch Willensbildung damit einhergehen könnten, dass es globale Ausmaße benötige, die wiederum nur durch die technischen Voraussetzungen der Digitalisierung geschaffen werden können um ein BGE wirklich zu gestalten.
 
Das fängt schon ganz praktisch damit an, dass es für die Umsetzung eines BGE weiterhin elektronische Konten geben muß. Elektronische Konten, die nur mit entsprechend vernetzten Computern sinnvoll zusammen agieren können.
Damit ist sein theoretisches Beispiel einer Agrargesellschaft in der es ein Grundeinkommen geben könnte schon mal reine Gedankenakrobatik aber in der Wirklichkeit nie vorgekommen. Gern lasse ich mich eines besseren belehren aber ich glaube nicht daran und wenn doch, dann wird dies unter dem Motto "Ausnahmen bestätigen die Regel" laufen. Geschichtlich gesehen ist jedenfalls keine Gesellschaftsform bekannt, in der in großem Maßstab ein Grundeinkommen gezahlt worden wäre. Es wäre ja ohnehin erst dann möglich, wenn Geld als Tauschform entwickelt worden ist. In einfachen Jäger- und Sammlergesellschaften gab es Geld noch gar nicht deshalb fallen diese schon mal raus.
Vielleicht fällt einem das Beispiel Ojivero in Namibia ein. Dort wurden in einem Experiment 1000 Dorfbewohnern ein Grundeinkommen ausgezahlt mit positiven Effekten. Nur wurde das Geld allen persönlich gegeben, was bei 1000 Einwohnern schon einen gewissen Aufwand bedarf. Es leuchtet jedem ein wenn es um größere Städte gehen würde wie Berlin wäre es überhaupt nicht möglich alle Menschen persönlich mit dem Geld auszustatten. All dies geht nur elektronisch und deshalb ist die Technologie eine ganz entscheidende Komponente auch und gerade wenn es um die Verteilung von Geld an die Bürger geht.
 
Ein anderer Aspekt, der sich ein Stück weit mit dem Punkt "Willensbildung", den der Autor in seiner Fußnote 13 anführt, überschneidet, ist der Aspekt der Globalisierung.
Diesmal aber aus folgender Perspektive betrachtet: Die größte Angst des Menschen besteht vor dem Fremden. Alles was nicht zu ihm gehört ist fremd und erzeugt zunächst erst einmal Angst. Durch die Globalisierung aber rückt die Menschheit immer mehr zusammen. Es ist wichtig zu erkennen, dass wir historisch gesehen in einem einmaligen Zustand leben, sämtliche Kulturen und Gesellschaftsformen der gesamten Welt zu studieren und kennenzulernen. Das gab es vorher noch nie. Erst durch die Industrialisierung, Technisierung und besonders die Digitalisierung ist es möglich so viele Daten und Modelle auszutauschen, dass wir uns erstmals ein umfassendes Bild über uns und unsere Mitmenschen machen können und das wir auch tatsächlich in persönlichen Austausch beispielsweise durch Reisen treten. Was zur Folge hat, dass die Angst des Menschen vor dem Fremden abnehmen kann. Und das wiederum ist ein elementarer Schritt hin zu einem Vertrauen, dass eine Idee wie die des BGE erst ermöglicht. Denn das BGE stellt einen Vertrauensvorschuss in unsere Mitmenschen dar, der sagt, ich gebe Dir, damit Du leben kannst, das einzige, was Du tun mußt, ist, diesen Vertrauensvorschuss nicht zu missbrauchen in dem Sinne, dass Du egoistisch damit umgehst und nicht zum Wohle der Gemeinschaft handelst. (Wobei das Wohl der Gemeinschaft natürlich noch genauer zu definieren wäre). Mit anderen Worten, das Grundeinkommen steht in einem historischen Prozess nicht zusammenhanglos da sondern seine Blüte ist genau dann gekommen wenn das Vertrauen der Menschen ineinander so groß ist, dass sie sich trauen,  zu geben auch wenn es den persönlichen, familiären oder ethnischen Rahmen der eigenen Zugehörigkeit sprengt.
Dies ist erst in einer globalisierten Welt vollständig möglich so wie sie jetzt bedingt auch durch die Digitalisierung, die einstige Grenzen völlig durchlässig macht, entsteht.
Die Ängste vor dem Fremden sind derzeit deutlich in der Flüchtlingskrise erkennbar. Auch ein Aspekt der Globalisierung.
 
Ich stimme mit dem Autor vollends überein, dass Technik allein weder gut noch schlecht ist oder andersherum beides beinhalten kann und dass es entscheidend ist, was wir mit dieser Technik machen.
 
Wenn wir aber das BGE im Zusammenhang mit Automatisierung und Digitalisierung betrachten wollen dann ist es wichtig, beide Themen nicht irgendwie kausal verknüpfen zu wollen sondern sie als parallel zueinander sich entwickelnde Formen zu verstehen. D.h. Automatisierung und Digitalisierung müssen nicht zwangsläufig zum BGE führen, das ist richtig wie Manneschmidt in seinem Artikel betont, aber es wäre auch falsch zu glauben, dass Automatisierung und Digitalisierung kausal dem BGE vorangehen würden. Es ist eher so, dass Automatisierung und Digitalisierung die Produktionsformen einer Gesellschaft sind und das BGE ein Teil einer Art Vergesellschaftungssform ist. Vergesellschaftsungsform und Produktionsform bedingen sich gegenseitig und können nicht aufeinander reduziert werden. Sie wachsen und befruchten sich gegenseitig.
So kann man ein BGE also nicht auf Automatisierung gründen sondern das BGE erfüllt den gesellschaftlichen Part, der mit der Produktionsform einhergeht wie andersherum die Digitalisierung
den produktiven Part erfüllt der mit dem gesellschaftlichen Part des BGE einhergeht.
Der Autor Manneschmidt möchte zwar auch keine kausale Verknüpfung herstellen, zieht aber daraus den falschen Schluß, dass ein BGE völlig unabhängig von jeglicher technologischer Entwicklung zu betrachten wäre und das ist falsch. Damit macht er die Idee des BGE ahistorisch, reißt sie aus jedem Zusammenhang und das kann definitiv nicht sinnvoll sein.
 
So vergisst der Autor, dass auch Technologien das Ergebnis bestimmter kognitiver Leistungen der Menschen sind und in einer demokratischen Gesellschaftsform die Kreativität des eigenen Geistes viel stärker gefördert wird als in einer autokratischen wo vieles vom Staat vorgeschrieben wird. Gesellschaftsform und Produktionsform bedingen sich also gegenseitig.
 
Ein nicht ganz zentraler Kritikpunkt aber mir dennoch wichtiger ist die Argumentation bezüglich der Formen von Arbeit. Es gibt da im Moment wohl keinen einheitlichen Konsens über die Formen der Arbeit aber angeregt von dem Modell der katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) ist eine Einteilung der Arbeit in folgende drei Bereiche meiner Ansicht nach sinnvoll und sollte gültig sein für sämtliche Argumentationen wenn es um den Bereich Arbeit geht:
 
 
Dann wird deutlich, dass eher unklare Begrifflichkeiten wie sie Manneschmidt mit den Bezeichnungen "unbezahlte und unsichtbare Arbeit" als auch "Sorge- und Demokratiearbeit" verwendet besser eingeordnet werden können. Und dass seine Kritik, dass diese Arbeiten zu kurz kommen, bedeutet, dass sie im Ungleichgewicht sind. Es heißt nicht, dass Erwerbsarbeit völlig verschwindet, das behauptet kein BGE-Befürworter, der die Automatisierung und den Wegfall von Arbeitsplätzen thematisiert. Es bedeutet lediglich, dass die einseitige Fokussierung auf Erwerbsarbeit und die Ausblendung der anderen zwei Teilbereiche, die ich hier Eigenarbeit und Kulturarbeit nenne, aufgehoben wird.
Ein BGE ist genau dazu da, nämlich die Überbetonung auf den Bereich Erwerbsarbeit zurückzunehmen, indem dort zunehmend Arbeiten von Maschinen erledigt werden, wenngleich dieser Bereich nicht gänzlich von menschlicher Tätigkeit entkoppelt wird und gleichzeitig die Bedeutung von Kultur- und Eigenarbeit aus ihrem Nischendasein hervorzuholen und damit den Dreiklang dieser Arbeitsfelder neu zu organisieren.
 
Zusammenfassend und auf den Hauptkritikpunkt meinerseits, die Geschichtslosigkeit des BGE, die Manneschmidt durch seine Kritik produziert, möchte ich es noch einmal mit den Worten von Daniel Häni auf den Punkt bringen, als dieser zur langen Nacht des Grundeinkommens im Mai 2016 sagte: "Der Sozialstaat war die Antwort auf die Industrialisierung - das BGE die Antwort auf die Digitalisierung"
 

Dienstag, 25. Oktober 2016

Kultureller Analphabetismus

Gibt es einen blinden Fleck in Sachen Kultur des Islam?

Vor dem Hintergrund der neuerlichen Ereignisse um den Fast-Attentäter Dschaber Al-Bakr direkt im Herzen Sachsens scheint das Problem der mangelnden kulturellen Weitsicht der politischen Eliten so deutlich ins Blickfeld zu rücken, dass möglicherweise die gestandenen Bundestags-Politiker spätestens jetzt das Ausmaß der Flüchtlingskatastrophe aus dem vergangenen Jahr zu begreifen beginnen und sich zum ersten Mal vielleicht auch bei ihnen ein Gefühl der Angst breit macht, das Problem der Flüchtlingskrise doch nicht so in den Griff zu bekommen wie es das (nun bereits schon echt abgegriffene) "Wir schaffen das" von Frau Merkel lange Zeit suggerierte und wie es vehement immer wieder verteidigt wurde, letztens erst neulich  durch die in der Presse bekannt gewordenen und bereits im letztem Jahr getätigten Ausfällen von Peter Tauber, Generalsekretär der CDU, in dem er alle parteiinternen Merkel-Abweichler als A---löscher bezeichnete.
Es ist aber nicht nur das politische Establishment, welches hier in seinen Einstellungen zu fremden Kulturen sich stark hinterfragen muß, sondern auch Prominente, die in Funk und Fernsehen ihren Beitrag dazu leisteten eine Willkommenskultur zu modellieren, die an Heile-Welt oder zumindest an die friedliche Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland erinnerten. Angesichts der mittlerweile so offensichtlichen Probleme mit Migranten aus dem islamischen Kulturkreis, was sich bereits in gedruckter Form in dem Werk  "Wir schafffen das nicht" von Katja Schneidt, einer Freiwilligenhelferin ausdrückt, wird deutlich dass die Auseinandersetzung mit fremden Kulturen ein unmittelbarer Bestandteil jeder Politik sein muß. Das gilt natürlich auch für die Flüchtlingspolitik.
Wenn man aber, leider erst im nachhinein, feststellen muß, dass die Flüchtlingspolitik, insbesondere mit der unkontrollierten Einwanderung von Menschen aus dem islamischen Kulturkreis, welches an dem Tag von Merkels Entscheidung¹ kulminierte, die in Ungarn festsitzenden Flüchtlinge aufzunehmen, so völlig blind gegenüber den Ankommenden und ihrer Kultur ist, dann muß man sich fragen, ob es hier nicht kulturelle Defizite in der eigenen Gesellschaft gibt. Defizite, die die Einschätzung von fremden Kulturen betrifft.
Als ausgebildeter Ethnologe mit einer entsprechenden Sensibilisierung für fremde Kulturen, kann ich die Ängste der eigenen Bevölkerung bezüglich der massenhaften Einwanderung von Flüchtlingen aus dem islamischen Kulturkreis sehr gut verstehen auch wenn ich dies nicht mit rassistischen Äußerungen oder gar körperlichen negativen Gewaltexzessen gegenüber Vertretern fremder Kulturen kundtun oder ausüben würde weil die Befähigung zu kritischem Denken die Möglichkeit gibt, sich sachlich damit auseinanderzusetzen.
Wie kann also ein Mittelweg aussehen zwischen den Gefühlsextremen von radikaler Angst und überschwenglicher Willkommenskultur. 
Ein Blick in die jüngere Vergangenheit macht es deutlich,  und gerade durch die massenhafte Verbreitung von Medien in der digitalen Welt ist dies nicht zu leugnen, dass ein Großteil der terroristischen Anschläge von Menschen begangen wurde, die entweder bereits Moslems waren oder Einheimische, die sich in einer Art Crash-Kurs radikalen Ideen aus dem islamischen Kulturraum geöffnet haben und sich so bereitwillig dem Dienst von Terror-Organisationen wie dem IS anschlossen.
Wie kann es also sein, dass dies so wenig in der hiesigen öffentlichen Debatte diskutiert wird? Ich kann mich noch erinnern, in Talk-Shows, in denen das Thema Flüchtlingskrise vorkam, ging es hauptsächlich um die Frage der Art und Weise einer guten Willkommenskultur. Ein Bernd Hoecker bspw., den ich als Comedian und Humorist sehr schätze, hatte mal in einer Talk-Show einen bildlichen Vergleich angestellt, indem er die Anzahl der Flüchtlinge mit der Anzahl der einheimischen Bevölkerung ins Verhältnis setzte und dann diese großen Zahlen herunterbrach auf eine vorstellbare Größe in dem gerade befindlichen Fernsehstudio mit seinen Zuschauern und meinte, wenn wir also rechnen, dann kommen auf die hier anwesenden 100 Zuschauer ca. 1 Flüchtling, das ist doch nicht viel, da hätte einer mehr auch noch Platz. Das könne man doch bewältigen. Genau denselben Vergleich brachte Katja Kipping, die ich ansonsten auch sehr für ihr Engagement für ein Bedingungsloses Grundeinkommen schätze, in einer anderen Talk-Show ein. Beide Male also nur der Rückgriff auf rein quantitative Maßstäbe! Wo bleibt die Qualität? Wo bleibt der Verweis auf die fremde Kultur? 
So sehr die Vergleiche von Hoecker und Kipping auch stimmen, so reichen sie nämlich alleine nicht aus! Es ist zu wenig. Was haben sie vergessen oder übersehen, weil sie einen kulturellen blinden Fleck haben? Nun, bei diesen Vergleichen muß man konsequenterweise hinzufügen, das auch nur EINE Person ausreicht um die restlichen 99 oder 100 Personen in die Luft zu jagen!!!
Das ist die Gefahr, die mit schwebt. Weil es offenbar in der Kultur, aus der diese Flüchtlinge kommen, eine kulturelle Entwicklung gab, die Selbstmordanschläge als Mittel zur Lösung von Problemen salonfähig macht.
Und noch einmal, dass die terroristische Gewalt von Moslems oder Menschen mit islamischer Radikalisierung ausgeht, ist ein Faktum, an dem keiner vorbei kommen kann, der ernsthaft eine Lösung für dieses Problem haben will.
Beispielhaft ist die Selbsterkenntnis des ägyptischen TV-Moderators Amr Adeeb, dessen wütenden Worte "Es waren Moslems!" in den Weiten des Internets Gehör fanden!
Während wir uns in Deutschland, vielleicht aufgrund der eigenen Vergangenheit so schwer tun, das Problem beim Namen zu nennen, macht es dieser TV-Moderator vor. Er klagt sie an, die eigenen Landsleute und wie ich meine zu Recht! Er zeigt die Courage, die erforderlich ist. Und wahrlich beispielhaft für die Verklärtheit des "aufgeklärten" Westens die Antworten bzw. Einwände seiner Kollegin in dem oben verlinkten Video, die am Ende auf eines hinauslaufen: auf die Rolle des Opfers! Egal wer, es sind immer nur die Opfer, mal ist der Westen dran schuld, mal die USA oder wer sonst, aber die, die diese Selbstmordanschläge begehen sind Opfer. Das ist die verkehrte Welt, die den Westen am Ende noch mehr in die Defensive bringt.
Dass es im islamischen Kulturkreis eine wachsende Zahl an Menschen gibt, die sich für eine Reform des Islam einsetzen, dass wissen wir bereits durch die vielen Fälle, in denen solchen Personen von den islamischen Radikalen die Todesstrafe verhängt wurde und selbst im Exil nur mit Personenschutz in der Öffentlichkeit auftreten können. Salman Rushdie fällt in diese grausame Verurteilung, genauso wie der Wissenschaftler Hamed Abdel Samad.

Was also muß ins Bewusstsein des Westens, in das Bewusstsein derer, die in Sachen Flüchtlingspolitik die Regeln bestimmen?

Es muß klar werden, dass es in der islamischen Welt ein Phänomen gibt, was der Journalist und Islam-Kenner Christoph Reuter in seinem Buch "Mein Leben ist eine Waffe - Selbstmordattentäter - Psychogramm eines Phänomens" als "Kultur des Todes" bezeichnete und dem Thema ein ganzes Kapitel widmete.

Mit dem Begriff "Kultur des Todes" meint er nicht etwa die Begleitung von Sterbenden in ihren letzten Stunden, was ja wünschenswert wäre, sondern diese Hingabe im islamisch geprägten Raum, einen Kampf für ein besseres Leben durch das Opfern des eigenen Lebens in Form von Selbstmordanschlägen zu führen.

Aus der Geschichte des Islam heraus skizziert Reuter den Weg, den dieses Phänomen in der islamischen Welt genommen hat.
In der Neuzeit waren es die »menschlichen Angriffswellen« im Irak-Iran Konflikt in den 80-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die das Phänomen des Selbstmords als Märtyrertum wieder in das Bewußtsein der Menschen im islamischen Kulturkreis brachte. Tausende Iraner, teils Kinder rannten mit Kalaschnikows bewaffnet als menschliche Angriffswelle auf die hinter geschützten Wällen mit Maschinengewehr ausgestatteten irakischen Soldaten zu. Ohne Schutz, dem sicheren Tod ausgeliefert aber immer mit dem Wort 'Kerbala' auf den Lippen und religiösem Eifer brachten diese Iraner am Ende die Gegner zur Verzweiflung.

Kerbala ist eine Stadt, in dessen Nähe, nach historischer Überlieferung einmal der Schauplatz eines Kampfes war, aus dessen Ausgang sich der Mythos vom gerechten Selbstmord speiste. Damals im Jahre 680 wurden ein Imam namens Hussein Ibn Ali und 72 seiner Gefährten von einer mehrere tausend Mann starken Armee niedergemacht. Der Imam war Schiite und die Geschichte erzählt, dass er seine Gefährten beim Anblick der Armee dazu drängte zu fliehen. Aber keiner wollte gehen woraufhin keiner die Schlacht überlebte. Somit war Hussein Ibn Ali und seine Gefährten die ersten Märtyrer. Dies ist die Quelle aller folgenden Erzählungen im islamischen Kulturraum wenn es um das Thema Selbstmordanschläge geht.

Die Grundidee vom Märtyrertum hatten also nach Reuter iranische Revolutionsgardisten mitgebracht.
Die weitere Radikalisierung dieser Idee erfolgte im libanesischen Bürgerkrieg.

Der von außen schwer in seiner Sinnhaftigkeit zu verstehende Selbstmordanschlag ist ein Mittel des Kampfes gegen den es praktisch keine Verteidigung gibt.

Der Einwand, der Islam verbiete Selbstmord ist auch denen bekannt, die solche Anschläge befürworten. Durch Tricks und Kniffe wird der Koran so ausgelegt, dass am Ende die Attentäter nicht gegen den Islam sondern im Sinne des Islam handeln. Der Märtyrer bestimmt die Stunde seines Todes selbst und das ist mit einigen Tricks kein Widerspruch zur Aussage des Korans, dass nur Gott und seine Engel die Stunde des Todes jedes einzelnen Menschen kenne.

In Zeiten antijüdischer Ressentiments im Nahen Osten, wozu die Israelis allerdings auch selbst mit beitrugen, wurde so ein wahrer Märtyrerkult ins Leben gerufen. In Zeitung, Rundfunk und Fernsehen bekamen Märtyrer, welche damals besonders gegen die verhassten Juden ihr Leben opferten, einen Heldenstatus aufgedrückt, der allen Lebenden als Beispiel dienen sollte. Auch um die Angehörigen der Märtyrer wurde sich gekümmert, es gab ein ganzes Geflecht an Organisationen, die ihre Dienste anboten. Das nimmt so groteske Züge an, dass Christoph Reuter in seinem Buch zu der Erkenntnis kommt: "Es scheint paradox, dass ausgerechnet jene Gruppen, die das umfassendste Sozialprogramm bieten, auch jene sind, die Selbstmordanschläge forcieren."

Solche Märtyrer werden verehrt wie der damals erst 18-jährige Bilal Fahs, was man auch auf Youtube sich anschauen kann. Typische Heldengesänge für einen, der mit einem sprengstoffbepackten Mercedes in eine israelische Patrouille raste und sein Leben opferte.
Das Märtyrer-Marketing, einst besonders unter der libanesischen Hisbollah, einer radikalen Gruppierung, entstanden, entfaltet seine Wirkung

Welche weiteren Aspekte betreffen diese 'Kultur des Todes'?
In den zahlreichen Talk-Shows, die es zu diesem Themenkomplex 'Islam', 'Terror' gab wurden zudem weitere Stichpunkte genannt, wie das patriarchale Weltbild und die damit einhergehende Unterdrückung der Frau.
Schaut man sich das Leben in islamischen Kulturen an, dann kann man es eigentlich auch nicht übersehen, das Schwarz der Niqab-tragenden Frauen. Schon die Farbe "Schwarz" wird im allgemeinen als Symbol für den Tod gesehen (Ausnahmen gibt es wie in China aber Ausnahmen bestätigen die Regel).
Wenn man sich dann aus psychologischer Sicht vorstellt, was hier geschieht, dann zeigt sich die Gefahr eines kulturellen Analphabetismus deutlich, wenn man die Zeichen nicht erkennt. Denn diese Vollverschleierung von Frauen ist die nach Außen  getragene Verdrängung des Weiblichen in konzentrierter Form. Und was Verdrängung im psychologischen Sinne anrichten kann ist verheerend. Die Selbstmordanschläge sind genau Ausdruck dieser Verdrängung des Weiblichen. Das absolut Irrationale (der absichtliche Tod des eigenen Ich's, der bewußt in Kauf genommen wird) zeigt sich in dieser Art von Kultur. Die Verdrängung des Irrationalen lässt es durch die Hintertür und mit gewaltiger Wucht wieder ins Bewußtsein zurückschleudern.

Wenn man sich jetzt klar macht, dass, und auch das wurde ja thematisiert, sehr viele junge Männer aus diesem Kulturkreis ausbrachen und in die freie westliche Welt emigrierten, dann bricht der ganze Verdrängungsmechanismus zusammen und die Folgen sind bereits sichtbar siehe Silvester in Köln, sie werden aber noch auf viel längere Zeit ein Problem darstellen.
Menschen, besonders Männer sind mit der freizügigen Darstellung des Weiblichen, wie es hier im Westen nun mal üblich ist, völlig überfordert und es wird nicht wenige geben, die sich in der ein oder anderen Form radikalisieren weil sie mit dieser Freiheit nicht gelernt haben umzugehen.

Doch in der hiesigen öffentlichen Debatte werden diese Dinge nicht ausreichend dargestellt. Stattdessen wird das Thema immer wieder in der Form übergangen, dass es hier nicht um den Islam geht, nicht um eine fremde Kultur sondern um Menschen wie du und ich und Pädophile, Rechtsextreme und Vergewaltiger gäbe es ja auch hier. Das ist das eigentlich oberflächliche und unsensible. Die Seichtheit der eigenen Kultur ist der Totengräber für die selbige. Man sieht das Problem nicht und damit ist es auch nicht existent.
So wie beispielsweise der bekannte Journalist Ulrich Kienzle als er im Februar diesen Jahres bei Markus Lanz zu Gast war und sich dahin stellte und behauptete: "DEN Islam gibt es nicht!" (bei ca. Min 34:32). Hintergrund war ein weiterer Gast von Lanz in dieser Talk-Runde mit der Islamkritikerin Sabatina James, die über die bedrohlichen Zustände ihrer eigenen Kindheit und Jugend im islamischen Kulturkreis berichtete. Kienzle bügelte das einfach  mit seiner getätigten Aussage ab und stellte auch gar keine Alternativen zur Verfügung. So wird ein Thema totgeschwiegen! ²
Kienzle scheint nicht klar zu sein, dass es bei diesem Thema einen anderen Kontext gibt als er ihn ansprechen will. Es geht um den Islam, als Beschreibung für eine der monotheistischen Religionen neben dem Christentum, Judentum oder Buddhismus. Es geht nicht um die verschiedenen Strömungen im Islam selber sondern um ein Bestandteil eines gelebten Islam in den meisten moslemisch beherrschten Staaten oder Regionen. Der Kontext bestimmt die Tiefe, in der ein Thema beleuchtet wird.
Der Fakt, dass die Islamkritikerin selbst mit dem Tode bedroht wird, existiert dann in Kienzle-ischer Logik auch nicht. Das ist das Zerrbild, was eine Spannung verursacht, die irgendwann zu einem Problem werden kann.

Oder ein anderes Beispiel dieser Oberflächlichkeit zeigte sich in der Talkshow von Anne Will zum Thema: "Der Fall Al Bakr - Ist der Staat dem Terror gewachsen" Da wird sowohl von dem syrischen Flüchtling Abdul Abbasi als auch von Katja Kipping dieser oberflächliche Spruch gebracht: Terrorismus = Terrorismus (ab ca. Minute 35), was aber von anderen in der Gruppe immerhin etwas differenzierter betrachtet wird und ausgerechnet Joachim Herrmann von der CSU hier den wichtigsten Einwand hervorbringt, nämlich dass man bei der Strategie der Terrorbekämpfung sehr wohl auf die konkreten Eigenheiten eingehen muss um eine wesentliche effektivere Bekämpfung vorzunehmen und um nicht alles "in einen Topf zu werfen" (O-Ton Hermann). Leider führt er das nicht näher aus, aber das ist die Frage, die sehr wohl einen wichtigen Blick auf die kulturellen Eigenheiten von Flüchtlingen aus dem islamischen Kulturraum aufzeigt.

Aus meiner Sicht steht der gesamte islamische Kulturraum vor einer gewaltigen Entwicklungsaufgabe. Es geht darum, sowohl den Islam als Religion als auch die Gesellschaft weiter zu entwickeln hin zu einer säkularen Gesellschaft in der Religion seine Legitimität aus einer inneren Einstellung heraus findet und nicht aus einer auf Äußerlichkeiten und auswendig gelernten Koranversen reduzierten Religion.
Es geht um die Dreiteilung der Gewalten in Judikative, Legislative und Exekutive was den Bruch mit dem Monopol eines staatlich geleiteten Islam bedeutet. Das ist eine gewaltige Aufgabe!
Das Christentum hatte die Aufklärung bereits hinter sich. Wie jeder weiß, ging dies auch nur mit größten Opfern. Es bleibt zu hoffen, dass die Aufklärung des Islam von intelligenten Menschen gesteuert wird um größere Katastrophen zu vermeiden. Das es aber immer ein schmerzhafter Prozess sein wird, dass steht auch ausser Frage.
Vielleicht bedarf es erst eines Terrorismus-Experten wie Elmar Thevesen, dass die hiesigen Entscheidungsträger wach werden, wenn sie Thevesens Buch "Terror in Deutschland" gelesen haben?
Sie hätten es schon früher wissen können. Wer sich mit fremden Kulturen beschäftigt und in Zeiten der Globalisierung tun wir dies in immer größerem Maß, dem kann die "Kultur des Todes" nicht entgangen sein.
Dann wird aus kulturellen Analphabeten endlich ein mündiger, informierter Bürger.
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¹ Zudem man auch die Frage stellen dürfte, ob so eine folgenreiche Entscheidung eigentlich nicht der parlamentarischen Zustimmung bedurft hätte und nicht nur eine alleinige Entscheidung Merkels hätte sein dürfen.
² Konsequenterweise dürfte dann auch der Islam nicht zu Deutschland gehören, denn DEN Islam gibt es ja nicht - zumindest wenn man den Aussagen von Kienzle Glauben schenken will! Aber diese Widersprüche fallen Kienzle und manch anderen Intellektuellen offenbar nicht auf.

Mittwoch, 17. August 2016

Grundeinkommen humorvoll erklärt

Hier ein schöner Mitschnitt aus einem Comedy-Programm bei der die Darstellerin Annie Hartmann auf sehr einladende weil humorvolle Art und Weise die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens näherbringt. Sehr lustig und kurzweilig. Man muß nicht immer mit der Schwere einer politischen Auseinandersetzung daher kommen, wenn es darum geht die Vor- und Nachteile einer Einführung eines BGE zu erläutern. Schön gemacht und hoffentlich bekommt sie ganz viel Resonanz. Für mich war jedenfalls klar, dass muß ich gleich in meinem Blog erwähnen. So sorge ich für weitere Verbreiterung.
 
Hier aber das Video:
 
 

Mittwoch, 3. August 2016

Chapeau an Frau Guerot!

Auf Frau Ulrike Guerot wurde ich bereits neulich in einer Talk-Sendung bei Maybritt Illner aufmerksam. Da schon trat die Gründerin und Direktorin des „European Democracy Lab“ (EDL) Berlin sehr aktiv für ein neues Europa ein und mischte den Laden der Altvorderen um Edmund Stoiber ordentlich auf.
 
Jetzt las ich nun einen Artikel mit dem Titel "Zerstört die EU" aus "Zeit Online", bei dem sie im Grunde in dasselbe Horn stößt.
Zwar etwas reisserisch in der Headline, aber was soll es, um die Aufmerksamkeit zu bekommen, die nötig ist, damit sich etwas ändert, sind vielleicht gerade solche Formulierungen wichtig.
 
Jedenfalls kann ich nur sagen, dass Frau Guerot das Problem treffend erkannt hat. Weg mit dem Europäischen Rat, ein Ding der Unmöglichkeit.
 
Treffend ihre Replik auf das merkelsche Diktat: "Scheitert der Euro, scheitert Europa" mit dem Satz: "Bleibt der Euro, wie er ist, scheitert die europäische Demokratie." Ein sehr schöner Hinweis auf die Entwicklung, die in allen Projekten nun mal auch stecken muß. Es gibt kein "immer so" sondern es gibt höchstens ein "immer etwas anderes" und das wird sich auch beim Projekt EU nicht anders verhalten. Um es weiterzuentwickeln müssen neue Strukturen geschaffen werden und wie Frau Guerot völlig richtig erkannt hat, die EU zu gründen bedeutet die Überwindung der Nationalstaaten. Genau das ist der richtige Ansatz!

Das Ende des Kapitalismus - ein Nachtrag

So, als neuer Post nun ein paar Sätze zu dem, was ich bereits in dem vorangegangenen Post schreiben wollte aber dann aufgrund des immer länger werdenden Posts dann doch auf einen neuen Post verschoben habe.
 
Es geht um einen Artikel aus "Die Zeit" vom 29.07.2016, in dem sich ein Philosoph namens Patrick Spät zum Phänomen Kapitalismus äußerte.
 
Schon die Headline des Artikels ruft zum Widerstand oder Protest auf ;-)
Es ist ein Zitat aus dem Interview, welches in Zusammenhang mit dem Kapitalismus als System geäußert wurde: "Das bedingungslose Grundeinkommen wird uns nicht retten."
 
Wie kommt der Autor zu so einer pessimistischen Einschätzung.
 
Nun, zuallererst muß man wohl feststellen, dass der Philosoph Patrick Spät eher in ein politisch linksorientiertes Profil passt. Aus den Aussagen des Interviews kann man das zumindest vermuten, jedenfalls sieht Spät optimistische Tendenzen im Arbeitskampf vor allen Dingen in der Stärke der Gewerkschaften. Das wirkt auf Digitale Natives wie mich dann doch etwas antiquiert links, ein klares Klassenkampfschema, dass es so gar nicht mehr gibt. Eine gute Zusammenfassung warum die Linke Bewegung derzeit selber mit sich zu kämpfen hat findet man in dem Artikel von Markus Liske
 
Man kann den Spruch "Das bedingungslose Grundeinkommen wird uns nicht retten" aber auch gar nicht so negativ sehen, wie man auf den ersten Blick assoziieren mag. In einem Vortrag von Enno Schmidt an der Uni Leipzig vor einigen Wochen machte Enno Schmidt deutlich, dass das BGE nur die Basis darstellen kann, nicht die Lösung an sich, aber das Fundament, auf dem eine Lösung erst möglich werden kann. Insofern kommt es darauf an, was man genau unter einem Grundeinkommen versteht.
 
Kommen wir also nun zu den Details, was mich an Späts Analyse stört:
 
Das erste was ich kritisieren würde, ist die einseitig negative Betrachtung des Kapitalismus. Kapitalismus basiert auf Ausbeutung, das kann man so sehen, aber der Kapitalismus ist eben nicht nur ein Wirtschaftssystem sondern auch ein kulturelles System und damit hat der Kapitalismus sehr viel bewirkt: Demokratie, Frauenwahlrecht, Verbesserung der Gesundheit etc. So allein negativ war das nicht. Obwohl ich Spät nicht ganz widersprechen möchte, dass der Kapitalismus besonders in den Nachkriegsjahren eine positive Auswirkung auf die Lebensverhältnisse hatte. Hier zeigte sich seine Stärke besonders würde ich formulieren. Aber es ist wie auch Spät ja im Grunde richtig erkennt, dass jedes System einen inneren Widerspruch in sich trägt, den es selber nicht lösen kann und deshalb zwangsläufig von einem neuen System abgelöst wird. Im Grunde sieht das auch Spät so, dann kann er allerdings schon allein aus diesem Grunde nicht behaupten, dass selbst die Digitalisierung dem Kapitalismus nichts anhaben könne.
 
Hier irrt Spät definitiv! Es passt aber in das Bild, was man von Spät bei der Analyse seiner Aussagen gewinnen kann. Wie schon oben erwähnt, ist Spät noch in alten Denkstrukturen der Linken mit Klassenkämpfen und Streiks und Gewerkschaften verwoben. Das wird zwar auch in Zukunft nicht ganz verschwinden aber die Art und Weise wie sich diese Kämpfe im realen äußern werden wird ganz maßgeblich von der Digitalisierung mit entschieden.
 
In dem Buch von Michael Seemann, welches ich im letzten Post etwas ausführlicher besprach, formuliert Seemann z.B. den Satz:
"Durch Wikileaks erlebten wir 2010, dass ein einzelner Whistleblower
einer Supermacht wie der USA vor aller Welt die Hosen ausziehen
kann." (S. 16, QTRL-Verlust, Seemann)
Es geht hier natürlich um Edward Snowden und seine Veröffentlichung von Daten aus den amerikanischen Geheimdienstakten.
Worauf es Seemann ankam, war zu zeigen, wie mächtig einzelne Personen werden können im Vergleich zu bisher als machtvoll akzeptierten Institutionen wie dem Staat. Voraussetzung dafür aber war die Digitalisierung der Welt. Nur durch diese Datenanhäufung durch immer geringer werdende Kosten war es möglich dieses neue Kapitel "David gegen Goliath" aufzumachen.

Wenn ich dann im Gegenzug bei Spät lese:


"Kein einziger Konsument, kein einzelner Bürger kann das System verändern. " 
dann steht das im krassen Gegensatz zu dem, was man bei Seemann lesen kann. Und ich finde, Späts Analyse ist hier einfach falsch. Weil er die Digitalisierung als neue Welt mit neuen Regeln und Gesetzen nicht erkannt hat.
Und das, obwohl er sogar selber von der Digitalisierung spricht.
Aber der Zusammenhang ist für ihn nicht klar.
Das Grundeinkommen ist nicht eine Idee um die Digitalisierung zu beenden oder irgendwie abzuschwächen sondern das Grundeinkommen ist wie Daniel Häni, einer der Gründer der Schweizer Grundeinkommensinitiative bei der letzten Langen Nacht des Grundeinkommens vom 02. Mai sagte: "Der Sozialstaat war die Antwort auf die Industrialisierung - das BGE die Antwort auf die Digitalisierung" Es sind zwei Seiten einer Medaille die hier miteinander koevolvieren, wie ich das so gern ausdrücke.
 
Auch in Bezug auf das Wissen irrt sich Spät meiner Meinung nach gewaltig. Er sagt auf die Frage, warum eine Revolution gegen den Kapitalismus ausbleibe:
 
"Weil es in den westlichen Sozialstaaten noch zu viele Menschen gibt, die der Marktlogik und deren angeblicher Alternativlosigkeit huldigen. Das hat unter anderem auch mit Wissen zu tun. Viele Missstände sind unbekannt, und die Geschichte des Kapitalismus ebenfalls."

Den ersten Teil würde ich ja noch mit unterschreiben, das hat in der Tat etwas damit zu tun, dass man so lange man im System ist, es schwer hat, eine Außenperspektive einzunehmen, von der man aus, das System aus einer Entfernung betrachten kann. Aber dass es nicht mittlerweile soviel Wissen gibt, das anzeigt, das hier völlig neue Strukturen nötig und möglich sind, dass glaube ich nicht. Und die Menschen erfahren es aufgrund der einfachen Informationsbeschaffung durch die Digitalisierung tagtäglich. Wenn man sich überlegt, was alles bereits durch die Digitalisierung ans Tageslicht kam und wieviele Menschen darüber gestolpert sind, ich erinnere nur an Guttenberg und die Doktorarbeit.

 
Und so hat man bei dem Interview mit Spät ja auch das Gefühl, dass es in sich nicht stimmig ist, weil einerseits Spät einen deprimierenden, weil aussichtslosen Kampf gegen den Kapitalismus suggeriert und andererseits trotzdem glaubt, dass der Kapitalismus sich selbst erledigen wird mit Rückgriff auf den Kampf der Gewerkschaften UND auch mit Rückblick auf die Digitalisierung. Das passt nicht zusammen und es ist Späts Beschränkung in der Erfassung dessen, was den Kapitalismus ausmacht und was die Digitalisierung mit dem Kapitalismus macht.
 
Auch seine Äußerungen zu den Besitzverhältnissen zeigen, dass er vielleicht doch mal das Buch von Michael Seemann lesen sollte. Der Modi des Eigentums wird sich ändern durch die Digitalisierung. Deshalb greift das Argument von Spät nicht, dass sich durch ein BGE die Besitzverhältnisse nicht ändern würden. Das BGE ist nicht das Instrument welches die Besitzverhältnisse ändern soll, sondern es ist die Digitalisierung, der digitale Weltenraum.
Und hier ist es eben besonders schade, wenn Philosophen solche Zusammenhänge aufmachen, die in sich nicht stimmig sind, denn nicht jeder der Menschen hat ein so reflektiertes Verständnis von all den Vorgängen in der heutigen Zeit. Schnell resigniert man in dem Wirrwarr an Meinungen, die es gibt und die gerade durch die Digitalisierung so direkt ins Bewußtsein eines jeden landen können. Dann landet man bei denen, die einfache Antworten geben weil man die versteht.
 
In einem Punkt gebe ich Spät allerdings Recht, das war auch eine starke Formulierung, nämlich als er meinte, Arbeit sei so etwas wie Religionsersatz! Genauer müsste man sagen, es handelt sich um "Erwerbsarbeit" - aber der Zusammenhang mit Religion ist durchaus ein treffender Gedanke. Durch die Entkoppelung der im Hirn von vielen so verankerten Denkstruktur von Erwerbsarbeit und Einkommen will aber nun gerade das BGE einen fortschrittlichen Ansatz in die Diskussion bringen. Deshalb ist es gerade geeignet, den Kapitalismus als System zu beenden oder wie ich lieber formulieren möchte, zu transformieren.
 
Damit möchte ich es an dieser Stelle bewenden lassen.
 
 
 

Dienstag, 2. August 2016

Der digitale Kontrollverlust und das Ende des Kapitalismus

Da wollte ich eigentlich seit Tagen nur einen Eintrag zum Buch "CTRL-Verlust" von Michael Seemann schreiben, da bekomme ich schon wieder einen interessanten Artikel aus "Die Zeit" vom 29. Juli in die Nachrichtenliste vom mittlerweile bekannten Michael Bohmeyer zugepostet, den ich sehr interessiert durchgelesen habe und danach das große Bedürfnis verspürte hier klar eine Gegenposition einnehmen zu müssen. Der Artikel wiederum ist von einem gewissen Patrick Spät, seines Zeichens Philosoph, ehrlich gesagt, vorher noch nie gehört aber das kann schon mal vorkommen, der jedenfalls kühn behauptete, selbst die Digitalisierung könne den Kapitalismus nicht bedrohen!
Diese Aussage jedenfalls, vertrug sich nämlich in keinster Weise mit dem, was ich vorher in dem Buch von Michael Seemann las und wie das ist, der Widerspruch reizt die Gehirnzellen und so überlegt ich kurz und kam zu dem Schluß, dass Herr Spät hier eindeutig die falschen Prognosen aufstellt und deshalb hab ich so reisserisch in der Headline formuliert "Das Ende des Kapitalismus". Es ist nicht ganz so, obwohl ich mir vorstellen kann, dass sich das viele wünschen würden, aber es ist auch nicht ganz falsch.
 
Aber der Reihe nach.
 
Zunächst zum Buch "CTRL-Verlust" von Seemann. Es war eines der Bücher, auf die ich schon länger gewartet hatte. Denn es geht um die Digitalisierung der Welt. Für mich als eher von der kulturellen Seite herangehenden Menschen war es ein drängendes Bedürfnis, die digitale Welt in ihrer Innerlichkeit bzw. in ihren Auswirkungen auf Moral und Gesetz zu beschreiben. Schon lange hatte ich die vage Erkenntnis, dass wir mit der Schaffung der digitalen Welt einen völlig neuen Weltraum betreten haben. Und wie das eben so ist mit neuen Welträumen, existieren in diesen neuen Welträumen nicht unbedingt die gleichen Gesetzmäßigkeiten wie in der Welt, in der wir leben, ich nenne sie einfach mal analoge Welt um einen Begriff zu haben, der sich von der digitalen Welt klar abgrenzt.
Nur fehlten mir dazu ein paar stichfeste Parameter, ein paar Formeln, die das ganze bildlich darstellen können. Jetzt war mit dem Buch "CTRL-Verlust" so ein Kandidat auf der Matte, der ein Stück weit Anregungen schuf, wie diese digitale Welt am besten zu beschreiben ist.
Und ich konnte einige Anregungen finden.
 
Die Essenz dieses Buches ist jedenfalls das, was der Titel schon aussagt: Kontroll-Verlust! Was meint das genau? Nun durch die Digitalisierung sind wir in weitaus größerem Maße nicht mehr in der Lage, unsere Daten zu kontrollieren. Also Daten zur eigenen Person, zum Unternehmen, zum Staat usw. usf. Die Daten sind aufgrund der digitalen Eigenschaften so flüssig, dass ich wie der Autor so schön schreibt, weder weiß, wo alles Daten von mir erhoben werden, wo diese Daten gespeichert werden, wer darauf Zugriff hat und was aus diesen Daten wieder für Erkenntnisse sprich neue Daten generiert werden. In seinen Worten:
"Daten, von denen wir nicht wussten, dass es sie gibt, finden Wege, die
nicht vorgesehen waren, und offenbaren Dinge, auf die wir nie gekommen
wären." S. 38
Seemann definiert dazu drei sogenannte Treiber, die diesen Kontrollverlust hervorrufen und verstärken:
 
 "1.Die immer engere Verknüpfung der digitalen und analogen Welt,
ermöglicht durch immer mehr und immer intelligentere Sensorik.
 2. Die immer billigere Speicherung und schnellere Kopierbarkeit von
Daten, die durch beständig wachsende Kapazitäten von Leitungen
und Datenträgern möglich ist.
 3. Die sich ständig verbessernden und mit mehr Rechenkraft ausgestatteten
Analysemethoden, die immer neue Einblicke in bereits
existierende Datenbestände erlauben."
 
Nach alldem, was ich mir bisher durchgelesen habe, ist Seemann hiermit ein ganz wichtiger Schritt zur Erklärung der heutigen gesellschaftlichen Entwicklungen mit ihren derzeit wohl vielen so bedrohlich anmutenden Erscheinungen gelungen.
Es ist der Kontrollverlust, der die Menschen unbewußt beunruhigt und der sie momentan ganz klar zu sehen, in die Illusion von Rechtspopulisten treibt, die die gute alte Zeit herbeireden wollen. Nur wird es kein Zurück geben können, es sei denn, wir schaffen das Internet ab. Das wird kaum möglich sein. Also wird es sehr viel auf klare Analysen ankommen, die einen Weg in eine Zukunft aufzeigen können.
 
Nun mag man meinen, na, ja -klar die Daten hier und da von mir, die sind halt nicht mehr nur bei mir, aber das Ende des Kapitalismus, das verstehe ich nicht.
Um hier das ganze Ausmaß der Digitalisierung zu beschreiben ist es wirklich wichtig, seinen Blick zu weiten. Nämlich von der Privatperson zu Unternehmen und ganzen Staaten. Ein Staat wie die USA wurde förmlich in die Knie gezwungen durch eine Person, Edward Snowden und seine Veröffentlichungen. Ein Ding der Unmöglichkeit würde man meinen, nein, dank der Digitalisierung und nur dank ihr, konnte so etwas möglich sein. Der Punkt ist, dass niemand mehr sicher sein kann, nicht mal die Geheimdienste, dass die Art und Weise wie sie in der Welt agieren unter Verschluss bleibt. Es ist eine neue Art von Transparenz in die Welt gekommen, mit der wir erst lernen müssen umzugehen.
 
Und es ist wichtig seinen Blick zu weiten, was Digitalisierung für den Handel also die Wirtschaft mit sich brachte.
Ökonomisch betrachtet, fing das ganze ja mit der Musikindustrie an. Durch Tauschbörsen wurde File-Sharing möglich zwischen Menschen rund um den Globus. Die Musikindustrie pfiff auf dem letzten Loch denn es kaufte keiner mehr die CD's. und ähnliche Artikel. Es ging weiter mit den Journalisten und der Presse. Was war mit dem Urheberrecht, das eine Vervielfältigung des eigens geschriebenen Artikels nur unter Beachtung gesetzlich vorgegebener Standards möglich machte? Es bröckelte nur so dahin. Alles was digital war, konnte massenhaft kopiert werden. Wie sollte man da noch Geld verdienen, das war auch eine Frage von Knappheit, welches ein typisches Charaktermerkmal kapitalistischer Produktionsweise betrifft. All das wurde in Frage gestellt. Statt Knappheit erlaubt die digitale Welt Überfluss in nicht gekanntem Ausmaß. Auch die Post verlor im Grunde ihr Monopol. Kontakt mit anderen Menschen - das ging jetzt via Mail und zwar kostenlos!Und mittlerweile ist die Digitalisierung in noch viel mehr Bereiche vorgedrungen. Der Begriff "Industrie 4.0" illustriert den Trend, der sich wirtschaftlich abzeichnet.

Ein wichtiger Punkt warum dies möglich ist, nennt Seemann auch, wie ich meine ganz zurecht: Informationen sind nichtrivalisierend! Damit meint er, dass im Gegensatz zu physischen Gütern, ich Informationen teilen kann, ohne dass ich deshalb selber weniger davon hätte. Konkret, eine Tasse ist entweder in meiner oder deiner Benutzung, es kann jedenfalls bei einer Tasse und zwei Personen immer nur einer trinken. Aber einen Witz kann ich erzählen ohne dass ich hinterher einen weniger besitze. Und die Person, die ihn erzählt bekommt, kann ihn wiederum teilen ohne selbst etwas zu verlieren.

Welche Tendenzen zeichnen sich also ab:
Die alten Institutionen von Ämtern, Behörden, ja vllt. auch Parteien und sonstigen Vereinigungen bis hin zu gesellschaftlichen Konstrukten wie dem Nationalstaat werden an Bedeutung verlieren. Bedeutung, die sie innehatten, weil sie die Kontrolle über Informationen hatten.
In Zukunft werden diese alten Institutionen abgelöst, zumindest in ihrer Bedeutung zurückgedrängt von neuen Institutionen im digitalen Bereich, Seemann nennt sie Plattformen und meint damit nichts anderes als all das, was wir im digitalen Bereich kennen wie Internet, Google, Facebook etc. pp. Der Charakter der Plattformen jedenfalls ist der, dass diese nur die Infrastruktur zur Verfügung stellen und die eigentlichen Nutzer in direkter Kommunikation miteinander agieren. Seemann unterscheidet zwischen offenen und geschlossenen Plattformen und verweist darauf, dass zwar Plattformen wie Facebook geschlossen sind, man muß sich vorher anmelden, innerhalb der Plattform aber agieren die einzelnen Nutzer dezentral in lockeren Verknüpfungen und Ende-zu-Ende Kommunikationen.

Natürlich wird durch Plattformen wie Facebook auch ein neues Problemfeld eröffnet, denn es ist klar, dass solche Plattformen einen bedeutenden Kontrollgewinn haben, nur die Besitzer von Facebook haben Zugang zu allen Nutzern. Und Seemann erwähnt auch den Facebook-Filter-Effekt, den ich bereits in einem früheren Post kommentierte, nämlich die Gefahr, dass durch die Einkreisung der eigenen Vorlieben schnell eine Wirklichkeit generiert wird, die sehr harmonisch aussieht aber in Wirklichkeit gar nicht so existiert. Man hat nur gefiltert und damit vieles ausgeblendet. Hier kommt noch ein sehr schönes Argument mit zum tragen, welches die Problematik erst deutlich werden lässt. Zwar bin ich einerseits selbst für die Erfassung von neuen Kontakten und Seiten also Informationen verantwortlich, selektiere also schon aufgrund meiner eigenen meist nicht mal wirklich bewußten Präferenzen, aber gerade im Fall von Facebook wird mir ein Informationsfeld angezeigt, das nicht nur auf den eigenen Vorlieben beruht sondern durch Algorithmen gesteuert wird, die von Facebook selbst geschaffen wurden. Ich werde also ein Stück weit fremdgesteuert. Hier wird es also in Zukunft darauf ankommen, wie auch der eigentliche Nutzer in die Entscheidungsprozesse der Plattformen mit eingebunden wird. Es wird nötig sein, dass Plattformen wiederum mehr Verantwortung übernehmen. Oder wie Seemann schreibt:

"Twitter, Facebook und Google
müssten die Kriterien offenlegen, nach denen sie Kontrolle ausüben." S. 209
 Seemann stellt, vielleicht wie einst Luther an die Schlosskirche zehn Regeln auf, die als Thesen formuliert, das neue Spiel charakterisieren sollen. Diese 10 Thesen aus dem Inhaltsverzeichnis kopiert sind:


0 – Es gilt das Neue

1 – Du kannst das Spiel nicht gegen den Kontrollverlust spielen

2 – Die Überwachung ist Teil des Spiels

3 – Wissen ist, die richtige Frage zu stellen

4 – Organisation und Streit für alle!

5 – Du bist die Freiheit des Anderen

6 – Macht hat, wer die Plattform kontrolliert

7 – Staaten sind Teil des Problems, nicht der Lösung

8 – Datenkontrolle schafft Herrschaft

9 – Der Endgegner sind wir selbst

Jetzt auf alle Thesen einzugehen würde den Rahmen des Artikels sicher sprengen, ich kann mir aber vorstellen, in neuen Posts Stück für Stück die ein oder andere These aufzugreifen.

Ein paar Bemerkungen aber möchte ich noch loswerden.

1. Das Buch selbst ist in digitaler Form frei verfügbar. Der Link ist oben angegeben, dann auf der Seite einfach schauen, es gibt die Möglichkeit es als PDF anzuschauen, usw. Warum ich das erwähne, ist genau der Punkt, um den es im Grunde Seemann die ganze Zeit geht, die Digitalisierung und der damit einhergehende Kontrollverlust. Er ist sich dessen klar bewußt und geht so die Schritte, die in einer digitalisierten Welt eher von Erfolg gekrönt sein werden. Er finanzierte das Buch über Crowdfunding, was selber wiederum nichts anderes ist als eine Plattform, die eine Ende-zu-Ende-Kommunikation ermöglicht usw. Er bietet das Buch digital an, damit es nicht über Umwege sowieso wieder im digitalen Raum als "Raubkopie" umhergeistert. Das finde ich konsequent zu Ende gedacht.

2. Seemann hat eine schöne Formulierung hinsichtlich der Beschreibung von Eigentum in der digitalen Welt konstruiert:

"Die Verdatung der Welt hebt das Eigentum nicht auf,
aber sie bietet eine neue Schnittstelle an, welche die Rivalität der
Dinge verringert und dadurch die Modi ihrer Nutzung verändert." S. 116
Das fand ich eine sehr gelungene Umschreibung und zwar weil ich mit einem anderen Text haderte, es geht um das Buch von Ilias Braun "Grundeinkommen statt Urheberrecht" - zwar kommt der Autor Braun auch zur Quintessenz dass ein Grundeinkommen eine Möglichkeit wäre, die neuen Formen des Austauschs gesellschaftlich akzeptabel zu machen, (im übrigen erwähnt auch Seemann das Grundeinkommen positiv - S. 218), aber auf dem Wege dahin, macht Braun in einem Kapitel einen für mich etwas unglücklichen Argumentationsstrang auf, mit dem ich so nicht richtig zufrieden war weil er am Ende auch nicht ganz richtig war. Aber worauf Braun zunächst hinaus wollte, war, dass Argument zu entkräften, es würde sich bei den Gütern im digitalen Raum um immaterielle Güter handeln, die deshalb nicht den Regeln der analogen Welt gehorchen. Das ist nämlich die Meinung der Digital Natives und auch meine Meinung. Deshalb war ich verwundert, dass Braun dagegen argumentierte. Aber durch die Formulierung bei Seemann bin ich auf die Lösung gekommen. Braun argumentiert insofern falsch, als das er unbewußt behauptet, dass Leute wie ich behaupten würden, es könne im digitalen Raum gar kein Eigentum geben, das aber bedeutet es eben gar nicht, wenn man sagt, dass es im digitalen Raum immaterielle Güter gäbe sondern es ist wie Seemann es hier formulierte eine neue Art von Eigentum!!! Das verträgt sich dann auch gut mit meinem ohnehin immer vorhandenen integralen Hintergrund. Denn auch da geschieht Entwicklung meist durch die Differenzierung, Transformation und Integration von Dingen, nicht dadurch, dass etwas einmal da ist und auf der nächsten Entwicklungsstufe nicht. Obwohl es auch solche Dinge gibt (siehe moralische Entwicklungslinie - aber das ist hier nicht gefragt) aber in dem Falle des Begriffs Eigentum ist dies sehr gut anwendbar. Der Modi des Eigentums ändert sich! Sehr schön formuliert!
Seemann schreibt auch, dass die unter dem Begriff "Share-Economy" gefassten digitalen Wirtschaftsarten, die "Plattformwerdung" des Eigentums bedeuten. Also dieser neue Modi von Eigentum wird hier sehr deutlich herausgearbeitet.
Seemann benutzt dann noch einen etwas technischen Begriff mit dem ich bisher nicht so vertraut bin, nämlich Iteration, er schreibt, "das Eigentum verschwindet nicht - es iteriert" was ich jetzt noch nicht so ganz nachvollziehen kann, aber das wird mir sicher noch klarer werden im Laufe der Zeit.

3. Die Verwendung des Worts "Spiel"

Ob sich Seemann da jetzt so bewußt war bei der Verwendung dieses Ausdrucks, ich fand das sehr gelungen weil ich das Wort "Spiel" in einer eher spirituellen Art verwende. Im Sinne eines Denkens, dass davon ausgeht, dass alles, was hier auf Erden sich abspielt, Teil einer gewaltigen Illusion, aber eben einer täuschend echten Illusion ist. Wie schon die alten Inder mit dem Wort "Maya" aufzeigen wollten, ist dieses Leben hier eine Illusion, ein Spiel. So als ob der eigentliche Akteur hinter dem Fernseher sitzt und wir die Akteure im Spiel nach den Anweisungen dieses Akteurs zu Werke gehen. Ich halte diese Vorstellung für äußerst wichtig, da sie weitreichende Folgen hat. Aber bei Seemann liest man verständlicherweise wenig von spirituellen Dingen, er wird den Begriff wohl eher von der digitalen Welt der Spiele abgeleitet haben. Was mir aber durchaus gefällt. Denn durch dieses Wort "Spiel" wirken die anstehenden Vorgänge und Transformationsprozesse leichter, als wenn irgendwelche ideologiebelastenden "-Ismen" wieder aufgebaut werden. Jedenfalls für den Anfang ist das ganz in Ordnung zur Beschreibung der neuen digitalen Welt.

So, nun habe ich erst mal die wichtigsten Dinge zum Buch von Michael Seemann geschrieben. Ich kann es wärmstens empfehlen. Klar, die integralen Gedankenkonzepte fehlen mir noch, aber vielleicht ist das ja der Part, den ich übernehmen muß.

Jetzt ist es aufgrund der Länge vielleicht etwas ermüdend die Argumentation, die nun noch folgen sollte, anzuschließen. Ich wollte ja noch etwas zu dem Artikel des Philosophen Spät unter Berücksichtigung der hier vorgetragenen Erkenntnisse und weiteren Bemerkungen notieren, aber ich glaube, das wird dann der zweite Teil in einem neuen Post werden! In Kürze sozusagen folgt das Ende des Kapitalismus ;-) Wir vertagen das nur!


Freitag, 29. Juli 2016

Mr. Dax für ein Grundeinkommen

Dirk Müller, der bekannte Börsenexperte aus Funk und Fernsehen, auch Mr. Dax genannt, hat in einem seiner letzten Statements ausdrücklich die Initiative der Schweiz zur Volksabstimmung über die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens gelobt.
Zwar muß man etwas vorsichtig sein, wenn man Helikoptergeld und Bedingungsloses Grundeinkommen in einem Atemzug erwähnt, dennoch zeigt dieses Statement, dass das Thema "Bedingungsloses Grundeinkommen" in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist und nicht mehr ein Randthema für träumerische Utopisten.



Auch die Frage, ob uns die Jobs ausgehen ist sicher immer wieder eine Diskussion würdig. Bei einem Gespräch mit Sascha Liebermann, seines Zeichens Professor für Soziologie, sprach dieser sich dafür aus, dieses Argument eher nicht an vorderster Stelle zu platzieren, da es möglicherweise seine Wirkung nicht so entfalten wird wie man annimmt da es doch wieder genügend Jobs geben könnte. Aber das letzte Wort ist hier sicher noch nicht gesprochen. Denn das Stichwort "Digitalisierung" bringt hier noch mal einen ganz neuen Schub in die Diskussion. Zeigt sich die Entwicklung des Abbaus von Arbeitsplätzen in einer exponentiell ansteigenden Kurve? Exponentiell hervorgerufen durch die Digitalisierung? Denn mit dem Aufkommen der digitalen Welt ist in der Tat ein völlig neuer Weltenraum erschaffen worden, dessen Gesetzmäßigkeiten wir gerade erst beginnen zu begreifen.

Montag, 25. Juli 2016

Das Leben wird komplizierter - und das ist schön...

...schrieben die Autoren des Spiegels in der Ausgabe 6/2016 am Ende eines Artikels auf Seite 20, bei dem es eigentlich um die neuesten Entwicklungen bei der AfD und die allgemeine politische Situation im Januar 2016 in Deutschland geht.
Da wird mit Recht auf die sehr aggressiven bis rassistischen Tendenzen innerhalb der AFD hingewiesen. Sei es bei Frontfrau Frauke Petry oder anderen Verantwortlichen wie André Poggenburg, Landeschef der AfD Sachsen-Anhalt.
Da wird mit Recht auf die zunehmende Radikalisierung innerhalb Europas hingewiesen, ob in Polen, Frankreich oder Holland oder erst recht mit Großbritannien. (Das war noch vor dem Brexit!).
Also alles sehr klar und detailliert geschrieben um dann zu einer Schlußfolgerung zu kommen, die an Dummheit kaum zu überbieten ist, vor allen Dingen wenn man vorher doch mit ansprechendem Niveau argumentiert hat.
Hier die Formulierung im Original:

Flüchtlinge werden weiter kommen, Kulturen und Religionen mischen sich, deutsche Familien sehen anders aus als vor 40 oder 50 Jahren, das Liebesleben ist mannigfaltig und eigensinnig - die deutsche Wirklichkeit wird komplizierter, und warum auch nicht? Die meisten Menschen kommen gut damit zurecht, unser Leben heute ist freier, sicherer, gesünder und in den meisten west- und ostdeutschen Städten schöner als noch vor 30 Jahren.
Als Autoren werden leider mehrere Namen angegeben, ich schreibe sie jetzt notgedrungen alle auf, weil ich ja nicht weiß, von wem nun genau diese Sätze kommen. Melanie Amann, Matthias Bartsch, Jan Friedmann, Nils Minkmar, Michael Sauga, Steffen Winter.

Vielleicht lag es ja genau daran, dass die eine Hand von der anderen bei der Produktion des Artikels nicht wußte, was sie schrieb. Zumal das Zitat der vorletzte Absatz des gesamten über mehrere Seiten geschriebenen Artikels war. Vielleicht mußte einfach nur noch etwas Füllstoff her und so hat man sich einfach in hohlen Phrasen ausgeweidet, vielleicht mußte es ja auch schnell gehen, der Redaktionsschluß nahte, oder, oder...

Dennoch erwartet man von einem Organ wie dem Spiegel Qualität und das war definitiv weit weg davon.

Gehen wir es also mal der Reihe nach durch.

- Flüchtlinge werden weiter kommen

Ja, sicher. Aber ohne Angabe einer Menge ist diese Aussage sinnlos. Da wurde im Text genau einen Absatz vorher extra darauf hingewiesen, dass es vielleicht der Regierung darum gehen sollte, die Zahl der Flüchtlinge zu drücken um ein Argument der AfD zu entkräften und dann schreibt man so einen Nonsens. Es ist eben genau diese Frage nach der Menge, die entscheidend ist. Ja, Flüchtlinge hat es immer gegeben, wird es auch immer geben. Aber es ist die Frage wieviele auf einmal sich wohin begeben. Deshalb sind solche Allgemeinplätze Quark. Aber das ist noch nicht das schlimmste.

- Kulturen und Religionen mischen sich

Ja, sicher. Die Spanier haben damals das Christentum nach Lateinamerika gebracht, die Exil-Engländer in den späteren USA ebenso das Christentum den nordamerikanischen Ureinwohnern. Jeder weiß, dass dies nicht so friedlich über die Bühne gegangen ist, wie man das sich wünschen würde. Über die ganzen Probleme und Verwerfungen brauche ich nicht zu diskutieren, es ist jedenfalls an Naivität kaum zu überbieten, wenn man solche Allgemeinplätze formuliert, dass sich Kulturen und Religionen einfach so mischen. Das haben sie noch nie getan. Das war durchaus oft mit viel sozialem Sprengstoff versehen.

- deutsche Familien sehen anders aus als vor 40 oder 50 Jahren.

Ja, sicher. Ich sehe auch anders aus als vor 40 oder 50 Jahren. Das ist doch nicht die Frage. Die Frage ist, ist die Veränderung, die stattfindet normal oder krank!!! Das ist eine Frage nach Qualität. Was ein Stück weit Differenzierung voraussetzt. Wenn ich mich verändere und weiße Haare bekomme, ja dann ist das wohl normal im Alter. Wenn ich aber irgendeine Hautveränderung bekomme, die auf eine Krankheit hindeutet, dann ist das sehr wohl nicht normal sondern krank.

- das Liebesleben ist mannigfaltig und eigensinnig

Gut, darüber lass ich mich nicht weiter aus, weil ich auch nicht verstehe, was so eine Formulierung überhaupt in einem Artikel, in dem es um die AFD und die Politik geht, soll.

- die meisten Menschen kommen gut damit zurecht

Jein! Es gibt sicher eine große Anzahl an Menschen, die zu Multikulti ein entspanntes Verhältnis haben. Aber das alleine reicht ja nicht zur Bewältigung der aktuellen Flüchtlingsproblematik. Wenn tausende Flüchtlinge unkontrolliert ins Land kommen, die zudem aus einem Kulturkreis kommen, der krank ist, dann ist es auch naiv zu glauben, das wir damit gut zurecht kommen könnten indem wir einfach so weiter machen wie bisher. Deshalb wird die Anzahl der Menschen, die damit zurecht kommen immer weiter sinken! Dass das die Spiegel-Autoren nicht sehen, ist eigentlich schlimm und eben ein Zeichen von Verdummung!

- unser Leben heute ist freier

Ha, ha...das ist wirklich die Spitze an Dummheit, die sich die Autoren haben einfallen lassen. Das war auch der Grund, warum ich an diesem Zitat so hängen geblieben bin.
Also wer so was schreibt in einem gesellschaftlich etablierten Organ wie dem Spiegel, der ist für mich nicht zurechnungsfähig. Wie kann man so etwas schreiben, in einem Land, in dem HartzIV "offener Strafvollzug" bedeutet (Originalton von Götz W. Werner, dm-Drogerie-Chef) Hier werden massiv Grundrechte verletzt.
Wie kann man so etwas gerade gegenüber der jungen Generation behaupten, die nichts von der Rente mehr haben wird, die sich von einem befristeten Verhältnis zum nächsten hangelt um dann zwischendurch wieder in die Mühlen von HartzIV zu geraten. Der Witz ist, grade mal 4 Seiten weiter in dieser Spiegelausgabe auf Seite 24 wird in einem kurzen Nachrichtentext darüber informiert wie ausgerechnet die Bundesregierung vermehrt prekäre Jobs schafft!!! Und das ohne erkennbaren Grund.
Wie kann man das schreiben, wo doch die Gesellschaft gerade in den letzten Jahren immer mehr ausgepresst wird, indem dem Bürger die Schulden von ganzen Banken oder Staaten aufgelastet wird.
Wie kann man so was schreiben, wenn immer mehr rechtsradikale Vorfälle zu verzeichnen sind. Also das ist wirklich Blödsinn hoch drei. Ich kann es nicht anders nennen.

- unser Leben heute ist sicherer

Ja, ganz bestimmt mit der unkontrollierten Zuwanderung von Flüchtlingen aus kranken Kulturen ist unser Leben heute sicherer. Sieht man ja an den vielen tollen Aktionen derzeit (München, Würzburg), wahrlich eine Bombenstimmung herrscht hier.

- unser Leben heute ist gesünder

jein. Sicher ist vieles durchaus lobenswert. Aber in Zeiten der Globalisierung drohen neue Gefahren von multinational agierenden Konzernen wie Monsanto und deren Wunsch, Glyphosat weiterhin zu verwenden. Auch die ganzen geplanten Freihandelsabkommen sind nicht automatisch ein Garant für ein gesünderes Leben.

- die Städte sind schöner als vor 30 oder 40 Jahren

ja, da würde ich mit zwar einigen Abstrichen aber prinzipiell ausnahmsweise zustimmen. Es ist viel getan worden zumindest in den Boom-Regionen wie Leipzig, wo ich nun mal wohne. Da ist wirklich sehr viel zum positiven hin passiert und die Stadt wirkt aufgeräumter denn je und das ist auch ein Verdienst der letzten Jahre. Was aber nicht darüber hinwegtäuschen soll, das auch viel architektonischer Mist gebaut wurde.

Das waren also mal die Aufzählung der einzelnen Aussagen, die in einem Satz zusammengeführt wurden und ich glaube, soviel Dummheit in einen Satz zu bringen ist sagenhaft. Jetzt braucht man sich eigentlich auch nicht zu wundern, wenn solche Organe wie der Spiegel zur Lügenpresse abgestempelt werden. Also wenn man so blind ist, dann ist da wohl wirklich was dran. Es ist aber nicht so, dass vorsätzlich gelogen wird beim Spiegel, das würde ich den Herren und Damen gar nicht unterstellen. Nein, es ist schlicht und ergreifend Dummheit, die dazu führt, dass sich die Redakteure in verweichlichten Allgemeinplätzen verlieren.

Ja, das Leben wird komplizierter, den Eindruck haben sicher viele Leute, aber das ist eben gerade nicht einfach so schön, das muß man schon erst mal bewältigen können. Und manches was komplizierter ist müsste nicht komplizierter sein aber es ist so und deshalb überhaupt nicht schön. Also wirklich, so einen Quark zu schreiben, da müssten die Redakteure eigentlich an alle Leser des Spiegels eine Entschädigung zahlen.

Montag, 27. Juni 2016

Nach dem Brexit...

Wie zu erwarten war, ist durch den Ausgang des Referendums in Großbritannien von einem Tag auf den nächsten nichts mehr so wie es mal war. Die Bedeutung dieses Ereignisses wird man sicher wie meistens erst in der späteren Betrachtung richtig einschätzen können aber wenn schon die BILD in ihrer Samstag-Ausgabe das Deckblatt komplett mit einem Riesendruck mit diesem Thema besetzt, dann zeigt das, wie tief dieser Einschnitt in der Entwicklung Europas (O-Ton Merkel) geht.

 
Über reichhaltige Diskussionsrunden danach konnte man sich jedenfalls nicht beklagen und oh welch Wunder, auch am Sonntag zum Presseklub konnte es selbstredend kein anderes Thema geben als den BREXIT.
 
Ich hatte den Anfang verpasst und schaute mir deshalb diesen etwas später auf Youtube an. Dankenswerterweise wurde es ja da hochgeladen, was ich sehr praktisch fand.
 
Aber die Stelle, die mich persönlich so aufregte, hatte ich schon am Sonntag gehört.
 
Es ging um das Statement von Herrn Peter Krause zur Emotionalität und EU.
 
Die Frage war, ob man die EU wieder lieb haben kann, wie die BILD-Zeitung es schrieb.
 
Nun kann man sicher über die Wortwahl der Redakteure bei BILD etwas schmunzeln aber das Thema an sich ist deswegen keineswegs so kindergartenhaft wie es erscheinen mag.
 
Die echauffierte Geste von Krause jedenfalls war m.E. völlig unnötig. Und mehr noch, genau seine Worte zeigen im Grunde, dass gerade er irgendwie nicht verstanden hat, um wieviel mehr es bei dem Projekt EU geht.
Hört man seinen Worten zu, dann sei die EU ein reines Vernunftprojekt, mehr noch, ein reines Nutzenprojekt. Unglaublich, so eine reduktionistische Sicht auf ein System zu haben. Und das ist nun der ARD-Korrespondentenchef. Ich verstehe das wirklich nicht.
...Die Leute sollten doch ihr Hirn einschalten und überlegen, was ihnen die EU nutzt... Damit schlägt er genau in dieselbe populistische Schiene wie die, die er möglicherweise kritisiert, die er für mitverantwortlich hält für den Ausgang des Referendums.
 
So was zu sagen verbietet sich eigentlich auf dem Niveau eines Chefs eines öffentlich-rechtlichen Senders.
Er ist auch schlecht beraten, wenn er solche Zitate benutzt wie das von Heinemann, der, wie er meinte, gesagt hatte, dass er seine Frau liebe, aber Deutschland???
Ebenso mit der naiven Annahme, Politik sei ein Vernunftgeschäft. Ich weiß zwar nicht, woher er das hat, aber es ist so ein typischer Ausdruck von völliger Emotionslosigkeit.
Ist das noch menschlich??? Nein.
 
Und was ist daran gefährlich? Es ist dieses Negieren von Emotionen, von dem was man das Irrationale nennt. Da aber Emotionen definitiv zum Menschen dazugehören, jeder Psychologe würde hier wohl 100%-ig zustimmen, kann man es nicht einfach wegreden. Es ist immer da. Wenn man es aber so wie Herr Krause wegrationalisieren will kommt es durch die Hintertür zurück. Und DAS ist noch viel gefährlicher als das was sich Herr Krause vorstellen kann.
 
Die Zeiten des 3. Reiches waren auch ein Ausbruch des Irrationalen weil vorher allein im öffentlichen wie privaten Diskurs das Rationale sich zwanghaft ausbreitete. Und das war ein Fehler! Wollen wir das noch mal?
 
Also in diesem Sinne kann ich nur davon abraten, keine Emotionen in der Politik oder beim Projekt EU zu zulassen. Statt sie also zu negieren, wäre es viel besser, zu lernen, wie man mit den Emotionen umgeht!
Selbstverständlich muß ein Mensch eine irgendwie geartete Emotionalität zu Europa entwickeln können. Das macht er ja sowieso jetzt auch schon, aber die ist sehr, sehr negativ! Warum? Weil man bisher von offizieller Seite her, Emotionen wenig Beachtung schenkte. Es ist wirklich zum Verzweifeln, dass dieser Fehler hier wieder von einem Menschen mit Verantwortung in der Öffentlichkeit gemacht wird. Das hat mich innerlich sehr aufgeregt.

Freitag, 24. Juni 2016

BREXIT!!!

Das war heute morgen aber doch eine faustdicke Überraschung für mich, als ich grad noch so im Radio vernahm, wie in den Nachrichten das Voting der Briten gegen Europa durchgegeben wurde.
Hoppla, da entkam auch mir ein Ausruf der Überraschung.
 
Gestern abend konnte man ja noch nicht viel erahnen, ich sah kurz nach 24.00 Uhr noch auf ARD das Nachtmagazin und es wurde dort schon fleissig rund um das Thema geredet und Beiträge gesendet. Aber so allgemein schätzte ich die Lage ähnlich wie die Diskutanten bei der Polit-Talkshow von Maischberger am Mittwoch abend ein, nämlich, dass der Brexit knapp aber eben doch noch abgewendet wird. Besonders stimmte ich mit Anja Kohl überein, die so wie ich dachte, dass der Mord an der EU Befürworterin Cox noch einmal die Massen, die Unentschlossenen wachgerüttelt und mobilisiert hat und deshalb die PRO-EU-Leute am Ende gewinnen werden.
So schaltete ich dann den Fernseher aus und begab mich zur Nachtruhe.
 
Aufgrund der Wärme konnte ich allerdings nicht gut schlafen, ich mußte die Balkontür in der Nacht offen lassen, damit es überhaupt etwas auskühlte, was aber den Nachteil hat, dass der Strassenlärm dann in die vier Wände dringt und leider Gottes ich an einer durchaus befahrenen Straße wohne.
 
Ich wachte dann bereits so kurz nach 5.00 Uhr mit leichten Kopfschmerzen wieder auf und beschloß erst mal auf Toilette zu gehen. Überlegte noch, den Fernseher anzumachen und schon mal zu gucken aber sagte mir dann doch, neee, warte mal lieber noch.
Stattdessen fand ich den Raum dann wenigstens halbwegs gut gekühlt und so schloß ich die Balkontür, krabbelte wieder ins Bett und war aufgrund der jetzt vorhandenen Ruhe in der Tat noch mal in Morpheus Armen.
 
Dann aber brach das Licht der Sonne ins Schlafzimmer und die Wärme wurde auch unerträglich, 30 Grad bereits im Zimmer, das ist nicht wirklich angenehm um noch weiter zu schlafen. Also aufgestanden und schon mit Neugier das kleine Plasteradio im Bad angeknipst. Und tatsächlich just den Moment erwischt, in dem die Nachrichten vom Ausgang des Brexit-Referendums durchgesagt wurden. Darauf folgte der Ausruf der Überraschung wie oben bereits geschildert.
 
Na, nun war ich aber echt munter! Im Bad Radio lief Radio-Leipzig und da ging es dann ums Wetter, das wollte ich nicht weiter wissen. Ich schaltete das Radio im Wohnzimmer ein, da läuft im Moment Radio R-SA, aber da brachten sie was von Böttcher's Hochzeitsjubiläum, boah, neee, das wollte ich jetzt auch nicht wissen.
Also blieb mir dann doch nur der Weg zum Fernseher. Ich entschied mich für Phönix und so verlief dieser Morgen in einer völlig ungewohnten Situation, ich frühstückte während der Fernseher lief, das kommt eigentlich so gut wie nie bei mir vor. Aber das Thema war einfach zu spannend.
 
Ja, nun konnte man Reaktionen sehen und Einschätzungen von Experten und Politikern anhören. Und dass das Thema wirklich elementar war, merkte man daran, dass Phönix den ganzen Vormittag über nur dieses Thema ausstrahlte. Normalerweise übertragen sie ja Bundestagsdebatten aber das war diesmal anders. Das fand ich auch ganz gut, denn mich interessierte natürlich nun die Reaktion der Brexit-Befürworter und der Brexit-Gegner als auch die Reaktionen der EU-Politiker um Schulz und Tusk und natürlich das Statement der deutschen Bundeskanzlerin.
 
Alles in allem ein historischer Tag. Nigel Farrage von der UKIP Partei wollte diesen 23. Juni sogar zum neuen Feiertag für Großbritannien erklären lassen. Und Beatrix von Storch, die etwas ungelenk wirkende AFD-Frontfrau, weinte vor Glück, wie sie meinte.
 
Ja, wie wird es nun weitergehen mit der EU, mit Großbritannien, mit Deutschland und und und...?
Wahnsinn, ein echter Hochkaräter hat sich da aus der EU verabschiedet und wohin steuern wir jetzt?
 
Ich komme natürlich gleich mit der Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens! Wenn die Politiker es wirklich ernst meinen, mit ihren Worten, die Bürger wieder mehr anzuhören, die Demokratie zu stärken und die Vorteile eines Europas mehr in den Vordergrund zu rücken, dann wäre die Einführung eines BGE genau der richtige Motor um hier Impulse nach vorn zu setzen. Wird das gelingen? Im Moment ist eher ein sehr regressives Denken in den Köpfen vieler Menschen zu verzeichnen. Zurück zu den alten Zeiten, wo alles noch gut war. Nur wird es diese Zeiten nicht mehr geben. Es war auch nie alles nur gut aber es könnte uns viel besser gehen wenn wir den Mut haben echte Transformationen anzugehen. Die Grundeinkommensbewegung sollte jetzt richtig viel Lärm machen, das wäre vielleicht ein Wachmacher.

So, dieser Eintrag mußte natürlich heute an diesem historischen Tag unbedingt gemacht werden.

Mittwoch, 11. Mai 2016

Die Lange Nacht des Grundeinkommens 2. Mai Theater Basel

Die Lange Nacht des Grundeinkommens am 2. Mai im schweizerischen Basel war nicht die erste Veranstaltung dieser Art aber wieder eine wirklich gelungene Aktion um das Thema Bedingungsloses Grundeinkommen in den Medien nach vorne zu pushen.
Die Schweiz stimmt im nächsten Monat nach dem Einbringen einer Volksinitiative über die Einführung eines Grundeinkommens ab. Im Moment sind die Initiatoren mächtig am Werbung machen, auch ein Tanz der Roboter stand neulich auf dem Programm.
Schon vorab kann man sagen, dass die Schweizer, die dieses Thema auf ihre Agenda gesetzt haben, wirklich sehr motiviert sind und künstlerisch wie auch im diskursiven Austausch wertvolle Akzente in der Medienlandschaft gesetzt haben.

So war auch diese Veranstaltung ein Beispiel gelebter Demokratie und man darf allen Beteiligten, auch denen, die sich explizit gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen haben, dennoch ein Kompliment für diese sehr anregende Diskussion machen. Nur in dieser Art des Austauschs von Argument und Gegenargument kann sich ein realistisches Bild, ein Bild des Machbaren mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen bilden.
Zumal man ehrlicherweise dazusagen muß, dass die Grundeinkommensbefürworter, so mein Eindruck am Veranstaltungsort in der Mehrzahl waren und es zumindest Mut benötigte, sich dieser Mehrheit entgegenzustellen.
Entscheidend ist am Ende doch der Wille eine Idee zu diskutieren und sie mit eigenen Gedanken zu bereichern oder zu entscheiden, diese Idee aufgrund von triftigen Gründen zu hinterfragen.

Die Rahmenbedingungen waren jedenfalls top und die Art der Veranstaltung super organisiert. Angesichts einer langen Zeit von rund 6 Stunden war es auch nötig die Aufmerksamkeit der Zuhörer nicht überzustrapazieren oder zu langweilen.

Nach Langeweile gab es meiner Meinung nach keinen Anlass.
Zugegeben, alles hab ich im Moment noch nicht gesehen, aber ca. 70% der Veranstaltung.
Was ich sagen kann, es hat mir sehr gefallen wie sich die Moderation abgewechselt hat, wie die Veranstaltung in verschiedenen Runden aufgeteilt wurde, immer mit einem thematischen Schwerpunkt, und wie die Art der Diskussion aufgezogen war. Zwei Diskussionspartner standen sich in einem Ring, einem Boxring gegenüber. Dieses Bild war auch bewußt so gewählt worden da es immer um Pro und Contra ging. Ein Moderator stellte die Fragen und die Diskussionspartner antworteten darauf. Als interessanten Zusatz zu den zwei im Ring stehenden gab es die jeweils aus einer Person bestehenden Zwischenrufer, die ausserhalb des Ringes auf einer Extra-Bank Platz nahmen und bei Bedarf ihr Statement einwerfen konnten. Eine tolle Idee, es entwickelte sich dadurch eine sehr dynamische Diskussion.

Besonders hervorheben möchte ich hier v.a. den Moderator der Runden Daniel Binswanger, der sich durch seine wohlformulierende Art ein angenehmes aber doch auch forderndes Diskussionsklima schuf als auch den Künstler W. Strutzenberger, der jede Runde mit einem künstlerischen und auch nachdenklich stimmenden Prolog einleitete. Das Niveau der Veranstaltung erreichte damit wirklich einen sehr gehobenen Standard.

Als Deutscher sei noch ergänzend hinzugefügt, der Schweizer Dialekt in seinen vielen Facetten ist immer wieder Grund zum Schmunzeln für einen Außenstehenden. Das mußte ich jedenfalls immer mal wieder beim Moderator Daniel Binswanger, der so einen rollendes 'R' herausbrachte, das man meinen könnte, er sei ein Amerikaner mit Schweizer Akzent.
Etwas merkwürdig ist auch, dass es mir zumindest oft etwas schwerfällt, den Schweizern so etwas wie ein energisches bis aggressives Auftreten zuzugestehen einfach weil der Dialekt meistens so nach Gemütlichkeit klingt, das ich denke, Schimpfen ist ein Fremdwort für die Schweizer.

Zurück zum Thema. Am Anfang gab es passend zum Austragungsort, dem Theater in Basel, erstmal einen künstlerischen Einstieg ins Thema bevor es dann gleich zu den Hauptfragen ging, die jeder, der sich mit dem Thema beschäftigt auf die ein oder andere Weise schon gehört hat oder selber gestellt bekommen hat: "Wie ist es finanzierbar?", "Wer geht dann noch arbeiten?", "Kommen dann noch mehr Ausländer / Flüchtlinge zu uns?" und "Werden dann alle anderen Sozialleistungen gestrichen?"

Hierzu kann ich noch nicht viel sagen, da ich nur bei der letzten Frage bisher die Argumente gehört habe. Einen Einwurf der Contra-Seite hatte ich mir notiert, da er für mich interessant klang, nämlich dass die Frage, ob man noch arbeiten würde, wenn man ein BGE hätte, man anders formulieren müsste im Sinne von: 'Würde man noch arbeiten gehen und seinen Nachbarn mitfinanzieren der zu Hause bleibt?' Nun ja, da steckt wohl doch ein Vorurteil dahinter welches so einer Frage eine völlig andere Richtung gibt. Ich glaube nicht, dass man so fragen sollte zumal es ja nicht die Absicht der BGE-Befürworter ist, die Arbeit als solche zu diskreditieren, es geht um einen anderen Ansatz, wie ich meiner Arbeit im Leben begegne.

Diese Problemlage bringt mich gleich dazu, etwas anzuknüpfen. Kritiker könnten nämlich sofort einwenden, ja aber das habt ihr doch selbst gesagt, ihr wollt die Arbeit abschaffen. In der Tat, in einem sehr klugen Prolog sagt Künstler Strutzenberger: "Sozial ist, wer Arbeit abschafft!" Sehr provokante These aber wohl eine Überlegung wert. Sein Beispiel des Müllentsorgens traf es sehr wohl, allerdings ist das halt nur der Müll. Müll ist vielleicht etwas, um das man sich selber kümmern könnte oder sollte. Aber es gibt natürlich jede Menge andere Arbeit, die man eben nicht selber erledigen kann. (Selbst beim Müll kann man letztlich auch nur alles in die passende Tonne hauen, aber den Müll wieder verwertbar machen, das machen dann doch andere). Ich denke, der provokante Satz "Sozial ist, wer Arbeit abschafft!" ist etwas ungenau wenn auch nicht falsch aber eben deshalb eine große Spielwiese für Spekulationen. Man müsste hier schon genauer definieren, was man mit Arbeit meint. Bei meinen Überlegungen stoße ich auf die Schwierigkeit, Arbeit in einem bestimmten historischen Moment zu erfassen, da die Geschichte aber fliessend ist, ist Arbeit, die man gestern hatte heute keine Arbeit mehr weil es anders gelöst wurde.
Der Übergang vom analogen ins digitale Zeitalter zeigt ja sehr schön wie Arbeit sich verändert hat. Brauchte ich früher sehr viel Konzentration ein Blatt Papier mit der Schreibmaschine korrekt einzutippen so geht das heute viel einfacher mit digitaler Software weil ich meine Eingaben immer und immer wieder korrigieren kann und somit flexibler bin. Man spart Papier, ja auch der Drucker steht heute zu Hause, auch das ging früher nicht, man erledigt also vieles selbst. Insofern hat man Arbeit abgeschafft von einem kollektiven Problem (kollektiv deshalb weil es eher jemanden bedurft hätte, der Schreibmaschine schreiben kann und jemand der drucken kann - so etwas kann man heute individuell zu Hause machen) hin zu einer individuellen Arbeit. Denn nichtsdestotrotz hört Arbeit deshalb nicht auf, sie hat sich nur verschoben. Wenn der Drucker kaputt geht, brauch ich Ersatz, das Einarbeiten in die neue Schreibsoftware erfordert Bücher oder andere Hilfsmittel wenn nicht sogar Menschen, die dies in Workshops vermitteln usw. Also müsste man den Satz letztlich erweitern und sagen: "Sozial ist, wer sinnlos gewordene Arbeit abschafft und sie durch sinnvollere Arbeit ersetzt"! Was sinn- oder sinnlos ist, ist wiederum Bestandteil gesellschaftlicher Diskursdebatten so wie geschehen bei dieser Langen Nacht des Grundeinkommens. Ein Ende der Arbeit jedenfalls propagiert keiner der BGE-Befürworter.

Einen Vorwurf der Contra-Seite zum Thema Arbeit möchte ich noch herausarbeiten, da sich darin viele weitere kleine Problemstellungen ergeben. Es war mal wieder ein typischer Gewerkschafter-Ausspruch, der da kam: "Erwerbsarbeit ist der zentrale Integrationsfaktor in der Gesellschaft" - weshalb man auf Erwerbsarbeit überhaupt nicht verzichten kann und BGE-Befürworter genau diese Integrationsleistung von Erwerbsarbeit für die Gesellschaft ignorieren und damit gerade die Gesellschaft spalten wenn sie die Bedeutung der Erwerbsarbeit schmälern. Ein typischer Vorwurf, der aber so für sich gesehen auch nicht stimmt. Denn Erwerbsarbeit ist immer auch Konkurrenzarbeit, die Arbeit gegen das Konkurrenzunternehmen. Zumindest in der kapitalistischen Gesellschaft. Ist dem so, dann ist die so hoch gelobte Integrationsleistung von Erwerbsarbeit nicht mehr ganz so sonnig, wie man es zunächst glauben mag. Denn Unternehmen interessieren sich in erster Linie am Gewinn, natürlich und sehr oft auch für eine Integration des Unternehmens in das gesellschaftliche Umfeld, aber letztlich ist doch klar, dass viele Unternehmen aus Konkurrenzgründen pleite gegangen sind und die sog. Arbeitnehmer arbeitslos wurden und damit also Erwerbsarbeit nicht per se ein Integrationsfaktor für die Gesellschaft ist sondern nur dann, wenn sie nicht in einem überbordenden Konkurrenzdenken stattfindet.

Darüberhinaus ist Erwerbsarbeit nicht alles. Jetzt wurde dies in der Diskussion auch angesprochen und was sagt der Gewerkschafter dazu: Ja, man müsse auch die anderen Arbeiten, er sprach von informellen Arbeiten genauso als Erwerbsarbeit betrachten und bezahlen!!! Also all die ehrenamtliche Tätigkeit und die Erziehungsarbeit usw. (https://youtu.be/mjdI3LSGa0Y?t=16m57s)
Aber ich glaube, genau das wäre ein Riesenfehler, es wäre die Durchökonomisierung aller Lebenswelten und Bereiche, die es gibt und genau das halte ich für den völlig falschen Denkansatz. Es würde bedeuten im Extremfall zu Ende gedacht, dass jedes Gespräch oder jede Tätigkeit unter Familienangehörigen unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet sein müsste. Ich müsste dafür zahlen, dass mir mein Vater oder Mutter etwas beibringt, Fahrrad fahren beispielsweise usw. Genau weil das ein Ding der Unmöglichkeit ist und auch nicht wirklich gewollt sein kann, ist nur ein BGE hier die richtige Alternative. Ein BGE, das einfach so gegeben wird, dass nicht fragt, wieviel hast Du in die soziale, kulturelle Arbeit zu Deinen Verwandten, Freunden und sonstigen Angehörigen investiert und gegeben weil sich diese Art von Arbeit nicht nach diesen Maßstäben bemessen lässt.

An dieser Aussage von dem Gewerkschafter merkt man eben wie sehr dieser Mensch noch in den traditionellen Denkmustern liegt, das Erwerbsarbeit alles ist und alles rundherum nichts. Das bereits von der KAB entwickelte Modell der Dreiteilung der Arbeit in Erwerbsarbeit, Kulturarbeit und Eigenarbeit ist dringend als Lektüre den Gewerkschaftern zu empfehlen.

Andererseits ist mir dieses Thema schon in einem anderen Zusammenhang aufgefallen, worüber ich nachgedacht hatte, aber letztlich noch keine abschließende Meinung dazu entwickeln konnte. Nämlich in Zusammenhang mit solchen Apps wie Uber, dem Taxiunternehmen. Auch hier wurde nämlich bereits in Presseartikeln angemerkt, dass diese Art von neuer Dienstleistung eine weitere Ökonomisierung des Privaten bedeute, also in Bereiche eindringt, die bisher nicht ökonomisch betrachtet wurden. Trampen ist out, man muß sich in Apps anmelden um eine früher als nette Freundschaftstat geltende Tätigkeit heute als Dienstleistung zu betrachten an den andere verdienen wollen.

Dies bringt mich auch gleich zu dem Punkt, der natürlich auch eine große Rolle bei der Begründung für ein BGE spielte, nämlich die Digitalisierung, Industrie 4.0 usw. All die Stichworte, die eben darauf aufmerksam machen wollen, dass Arbeitsplätze in weitaus höherem Maße als zuvor verloren gehen werden und um das aufzufangen, es eben ein BGE benötigt.
Ja, die zunehmende Technisierung kann man definitiv nicht leugnen und es ist, das sollte man sich auch klar vor Augen führen erst der Anfang. Die digitale Welt ist gerade erst geboren und macht ihre ersten Schritte. Wenn die Entwicklung weitergeht, dann wird es bald ganz neue Welten der Digitalisierung geben, von denen wir heute wahrscheinlich kaum zu denken wagten.

Ein wichtiger Punkt, der auch von der Pro-Seite erwähnt wurde, war die Lernfähigkeit der heutigen Maschinen. Was immer man nun genau unter Lernfähigkeit versteht weiß ich zwar nicht, aber es ist definitiv eines der Grundvoraussetzungen für so etwas wie künstliche Intelligenz. Die ersten Versuche in dieser Richtung scheiterten jeweils an der Unmöglichkeit, dass Maschinen lernfähig waren. Sollten sie es jetzt werden, wäre das in der Tat ein Riesenschritt in Sachen Technisierung.

Aber wie Häni es formulierte, er möchte kein Bedingungsloses Grundeinkommen nur als Konsument.
Das ist in der Tat eine der Vorstellungen, die so gesehen Unwohlsein hervorruft. Stellt Euch vor, man ist umgeben von Maschinen, die einen füttern, pflegen, herumfahren usw. Die einem alles abnehmen, was macht man dann noch als Mensch? Das ist eine Entwicklung, die so nicht passieren dürfte, denn der Mensch schafft sich nicht selbst ab, oder? Ist der Roboter der neue Evolutionsschritt der Natur? Ich kann es mir nicht vorstellen weil ich glaube, dass der Mensch an sich alle Möglichkeiten und Fähigkeiten in sich selbst trägt, so dass er gar keine Maschinen braucht. Aber bis dahin ist es sicher noch ein weiter Weg und Maschinen sind bis dato ein wertvoller Ersatz aber sie können nur einen Teil der Arbeit des Menschen ersetzen, nicht alles. Ja, mehr noch und damit schließt sich der Kreis zum oben genannten erkenntnisprovozierenden Satz "Sozial ist, wer Arbeit abschafft", am Ende wird ein menschliches Miteinander nur dann gelingen, wenn die Menschen sich die Arbeit machen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Eine Maschine kann die gesellschaftlichen Probleme nicht lösen nur zuarbeiten. Wenn eine Maschine doch mehr kann, wäre das vielleicht das Ende der Menschheit, oder?

Interessant in diesem Zusammenhang auch die Frage, ob die derzeitige technische Entwicklung mit ihren Schlagworten 'Digitale Revolution' oder 'Industrie 4.0' nicht als technische Kompetenz die Voraussetzung schaffen für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Daniel Häni verneint dies zunächst mit einem Verweis auf Andreas Gross und der Aussage, das es heute andere Zugänge zu dieser Idee gäbe aber ich weiß weder auf was er sich genau bei dem Verweis auf Andreas Gross bezieht noch welche Zugänge er genau meint, das macht er auch nicht weiter öffentlich, stattdessen widerspricht er sich eigentlich fast selbst indem er den für mich wesentlich wichtigeren und richtigeren Satz sagt: "Der Sozialstaat war die Antwort auf die Industrialisierung - das BGE die Antwort auf die Digitalisierung" - genau das ist auch mein Ansatz und deshalb ist es vielleicht gerade eben erst in unserer heutigen Zeit mit dem gewaltigen technologischen Quantensprung ins digitale Zeitalter möglich bzw. sogar nötig ein BGE einzuführen.

Andererseits, und das kann man sicher auch als Zweifel im Hinterkopf behalten, wird auch eine Gesellschaft, die so durchtechnisiert ist, irgendwann an ihre Grenzen und inneren Widersprüche stoßen.
Der Widerspruch wird bereits in den Worten von Frau Göhler deutlich, die zu einer Entschleunigung aus ökologischen Gründen mahnt, also im Grunde weniger Wachstum während der Fan von Technologie Richard Eisler ganz enthusiastisch von immer mehr Technologie schwärmt, was sich doch als Gegensatz auftut für mein Empfinden. Eine endgültige Antwort kann es darauf sicher nicht geben, aber Fakt ist, dass die Herstellung von neuen Produkten in Zukunft mehr und mehr durch regenerative Energien erfolgen muß. Und das die Produkte selber umso besser sind umso mehr sie selber wieder regenerativ umgewandelt werden können.

Ein wichtiger Punkt für mich ist, die Einführung eines BGE realistisch zu betrachten. Ich habe bei dem ein oder anderen Befürworter des BGE in diesen Diskussionen noch zu viel Schwärmerei und Idealisierung ausgemacht. Das ist sicher am Anfang einer Idee immer so, das man alles in Rosa sieht, gar keine Frage. Aber zur weiteren Durchsetzung einer Idee kann nur eine kräftige Portion Pragmatismus helfen um von der Idee zur Realität zu kommen. Und das heißt, sich mit den gegebenen Situationen zu arrangieren und daraus schöpferisch neues zu entwickeln, was am Ende aber nicht so toll sein wird wie die Idee im Idealzustand. Es wird immer Kompromisse und Zwänge geben und damit wird aus dem Idealzustand einer Gesellschaft mit BGE immer etwas sehr ernüchterndes, was dann problematisch wird wenn man eben vorher zuviel idealisiert hat. Dann macht sich Enttäuschung breit.

Hierzu ein Beispiel aus der Runde zur Frage der Macht. Die Pro-Seite in Person von Andreas Gross argumentierte, dass der Mensch mit einem BGE mehr Zeit zu Demokratie bzw. zum Nachdenken hat. Dies kann man sicherlich so teilen aber das Bild, was Andreas Gross dabei entwirft, zeichnet eine Gesellschaft, die im heutigen Zustand im Grunde nur aus Unterdrückern und Unterdrückten besteht, was man als Überzeichnung feststellen darf und was auch von der Contra-Seite wenig später so angegriffen wurde. Die Unterdrückten werden dabei idealisiert, in dem Sinne, dass alle Unterdrückten mit einem BGE dann ihre Kreativität und Gestaltungskraft frei zum Wohle der Gesellschaft entfalten könnten weil sie dann endlich die Zeit hätten, die sie jetzt mit Erwerbsarbeit verbringen müssten.
Dies ist natürlich nur ein Idealbild, welches definitiv so nicht in der realen Welt vorkommt.
Außerdem, und das sollte man sich auch vor Augen führen, wird es immer Menschen geben, die sich dafür nicht interessieren oder noch mehr, die dagegen sein werden.
Auch hier kam ein wichtiger Hinweis von der Contra-Seite, nämlich mit Bezug auf die aktuelle politische Lage in der Schweiz um das Erstarken der eher rechtskonservativen bis rechtspopulistischen Parteien würde es keinesfalls nur ein Gewinn sein, wenn solche Kräfte ein Bedingungsloses Grundeinkommen erhielten. Das ist ja auch immer meine Rede, wir dürfen nicht vergessen, das ein BGE mit seinem Punkt der Bedingungslosigkeit für Alle eben auch die trifft, die wir vielleicht grad nicht so toll finden. Das muß man zumindest in seinen Überlegungen mit einkalkulieren. https://youtu.be/6iJZrUVCUQo?t=16m33s

Auf den Einwurf der Contra-Seite, dass sich ein Großteil der Menschen gar nicht für Politik interessiere kam zwar auch richtigerweise der Einwurf der Pro-Seite, das man die Menschen nicht unterschätzen solle, aber so toll diese Bemerkung auch ist, unterschätzen gilt für beide Richtungen sowohl für eine positive Mitgestaltung der Gesellschaft durch Menschen als auch hin zu einer negativen Richtung, in dem Menschen erfüllt von Machtgier und Neid andere Menschen zunehmend unterdrücken. Es gibt halt keine Automatismen, mit einem BGE wird die Gesellschaft nicht auf Knopfdruck besser sondern es bleibt dabei, es erfordert Arbeit an sich selbst und am anderen um die Gesellschaft zusammen zu halten und das BGE realitätsfest zu machen.

Auch das die Einführung des BGE nichts mit Zwang zu tun hätte, ist eine schwache Argumentation seitens der Pro-Seite, die gar nicht nötig gewesen wäre. Es ist so, wie es die Contra-Seite schon angemerkt hatte, am Ende eines Diskussionsprozesses muß eine Entscheidung getroffen werden und diese Entscheidung wird nur im Idealfalle eine Entscheidung sein, die alle Argumente aller Diskutierenden erfüllt. Realistischer ist eher, dass der ein oder andere Kompromiss der Teilnehmenden gemacht werden muß. Das ist erlebter Alltag, jeder wird das bestätigen können wenn es um Entscheidungsprozesse in Gruppen geht. Ob in der Familie oder auf Arbeit, unter Freunden oder im Verein, immer wird man sobald mehr als man selbst da ist, bei Entscheidungen einen gewissen Zwang ausüben weil nicht alle Bedürfnisse aller immer erfüllt sein können. Das ist im Grunde nichts Neues und wird auch heute so in der Politik bei jedweder Gesetzgebung so angewandt. Natürlich wird dann auch ein Grundeinkommen eine gewisse Form des Zwanges beinhalten denn wie schon gesagt, es werden nicht alle für ein Grundeinkommen sein, entscheidend ist nur eine vorher definierte Mehrheit.

In einer weiteren Runde zum Thema Freiheit (Was macht das BGE in Bezug auf Freiheit, ist es mehr oder weniger Freiheit) wurde auf der Pro-Seite in Person von Herrn Muschg das Stichwort Muse immer und immer wieder betont. Sehr wohl ist dieser Punkt wichtig, er könnte mit dem Begriff der Entschleunigung, den Frau Göhler einbrachte korrelieren, dennoch fehlt mir da so ein wenig das Gefühl für die richtige Balance, für das richtige Maß. Zuviel Muße ist letzten Ende ja auch nicht gut, weder für die Einzelperson noch für die Gesellschaft. Denn die gesellschaftliche Arbeit bleibt immer noch als Aufgabe da.
Jedenfalls war in dieser Runde die Abschweifung in idealisierte Zustände sehr stark vorhanden und hier konnte die Contra-Seite am meisten punkten durch die Einschaltung der Realität. Nur die Pro-Argumente von Kovce waren hier ein starkes Gegengewicht. Da zeigte sich dann auch schnell, dass der Intellekt und Pragmatismus der Contra-Seite in Person von Herrn Lüchinger begrenzt ist, er hätte es nämlich nicht verstanden was Herr Kovce gesagt hat, so seine Antwort in den Saal. Es ging dabei um die von Herrn Lüchinger selber benannten konstitutiven Elemente der schweizerischen Gesellschaft, ein starkes Individuum und ein schwacher Staat (schwach im Sinne, dass der Staat nur dann in die Belange des Individuums eingreift wenn es nötig ist). Das diese Elemente aber genauso die Voraussetzungen in einer Gesellschaft MIT BGE sein sollen, das leuchtete ihm nicht ein. Tja, das sollte dann am ehesten Herrn Lüchinger zu denken geben.
 
Was fiel mir sonst noch auf. In der Runde zum Thema Arbeit machte der Herr Minsch von der Contra-Seite eine Rechnung auf, die aufzeigen sollte, dass ein BGE letztlich doch nur so etwas wie eine Art Herdprämie für die Frau sei. Er meinte, angenommen beide würden bisher Teilzeit arbeiten, verdienten jeweils 3500 Franken, also zusammen 7000 würde die Rechnung mit einem Grundeinkommen dann so aussehen: Der Mann geht Vollzeit arbeiten, bekommt also jetzt 7000 Franken alleine (wobei man hier sein Grundeinkommen plus den Lohn zusammenrechnen muß) und die Frau, die nun zu Hause bleibt erhält zusätzlich noch die 2500 Franken Grundeinkommen womit sie unterm Strich 9500 Euro haben, also mehr als vorher. Klingt ja logisch, vergisst aber, dass die Familie noch mehr haben kann wenn die Frau jetzt auch weiterhin Teilzeit arbeitet. Was sie auch tun dürfte. Also dieses Contra-Argument lief für mich völlig ins Leere.
 
Was ein wichtiger Punkt ist, das ist die Frage, wie sich Jugendliche in so einer Situation verhalten werden, was Herr Minsch beiläufig mit erwähnte. Werden sie am Erwerbsarbeitsleben teilhaben oder eben doch eher das Abenteuer und die Freizeit suchen. Hier scheint mir in der Tat am ehesten noch eine Gefahr zu bestehen, dass ein Grundeinkommen in schiefe Bahnen gerät.
 
Am Ende muß klar sein, ein BGE ist eine Art neuer Gesellschaftsvertrag, denn der alte mit der Rente, der ist ja wie wir alle wissen im Grunde gekündigt und nur noch auf dem Papier existent. Das BGE ist ein Vertrauensvorschuss und wird nur dann funktionieren, wenn auch die noch in jugendlichen Jahren voller Tatendrang sich befindliche Generation mit dazu beiträgt. Mehr noch: Die Höhe des Grundeinkommens hängt auch von der Intensität ab, wie sich jeder in die Gesellschaft einbringt. Es ist also wichtig auch für Jugendliche zu wissen, dass sie in einer Gesellschaft mit einem BGE eine Freiheit geniessen, die gleichzeitig ein höheres Maß an Verantwortung mit sich bringt. Diesen Test müssen Jugendliche erst mal bestehen.
Gleichzeitig wäre das BGE sozusagen das Bindemittel, welches die gesamte Gesellschaft als ein Kollektiv zusammenhält. Denn noch mal: die Höhe des BGE hängt von der Beteiligung aller am Wohle der Gesellschaft ab. Das erinnert mich ein bisschen an den Sozialismus, den ich selbst erlebte, aber sollte deshalb nicht gleich in Frage gestellt werden, denn es geht hier um mehr als um Fahnen schwenken und Maidemos mit roten Nelken sondern um ein neues historisches Band zwischen allen Generationen einer Gesellschaft, etwas was sie als Gesellschaft zusammenhält und ihre Identifikation ausmacht.
 
Weiterhin bleibt hängen, dass man nicht vergessen darf, dass die heutigen Gesellschaftsinstrumente wie Rente und Sozialversicherung damals bei ihrer Einführung genauso heiß diskutiert worden waren. Mit wahrscheinlich genau denselben Bedenken wie es heute die Leute von der Contra-Seite sehen. Ein sehr wichtiger Punkt wie ich finde.
 
Als ein schönes Bild in diesem Zusammenhang bleibt mir auch der Vergleich mit der Wasserversorgung im Kopf. Früher traf sich alles am Brunnen, jeder mußte das Wasser daraus holen. Heute hat jeder seinen eigenen Wasseranschluß und die Sorge, dass dies nicht gut gehen könnte weil die Menschen nicht so viel Verantwortung hätten um mit dem Wasser sorgsam umzugehen, hat sich als unbegründet erwiesen. Klar, wir müssen es natürlich auch bezahlen, kostenlos ist es nicht, aber in der Tat, finde ich, ist auch dieser Vorgang ein schöner Beweis dafür, das Eigenverantwortlichkeit niemals eine Gesellschaft in den Ruin treiben kann sondern eher die Saat, die dafür sorgt, dass sich eine Gesellschaft entwickelt.
 
Wie wird es nun weitergehen? Hier fand ich den Realismus der Pro-Seite sehr angenehm. Man gibt sich keinen Illusionen hin und glaubt, bei der Abstimmung am 05. Juni wird man froh sein können, wenn ca. 20 % der Wähler für die Idee des BGE stimmen werden. Das ist realistisch und bewahrt vor Enttäuschungen.
 
Leider muß man, wie ich schon erwähnte, auch in der Schweiz einen massiven Rechtsruck im politischen Spektrum wahrnehmen. Insbesondere die SVP um Roger Köppel hat große Zuläufe und aufgrund der Ansichten dieser Partei ist davon auszugehen, dass es einem Großteil der Schweizer noch an der nötigen Weitsicht fehlen wird, dass ein BGE am Ende besser ist als die Angst vor Ausländern und Europa.
Kleiner Hinweis: Im Spiegel, Ausgabe 7 /2016 war ein interessanter Artikel zur Entwicklung von Roger Köppel zu einem Rechtspopulisten zu lesen. Lesen
 
Wir erleben ja nicht nur in der Schweiz sondern generell in Europa einen Rechtsruck in den Gesellschaften was die politische Richtung angeht. Das liegt insbesondere an der fehlerhaften Konstruktion Europas. Ein Europa, das eher eine Behördenbude gleicht, kann auch nicht allen Ernstes die Aufgaben lösen, die so eine Vereinigung lösen muß. Deshalb befürchte ich erst einmal wieder Katastrophen bis dann alte Strukturen zusammengebrochen sind auf denen dann endlich das freiheitliche Konstrukt einer Gesellschaft mit BGE sich bilden kann.
 
Hier noch einmal die Liste aller derzeit vorhandenen Videos auf Youtube:
 
 
 
 
 
 
 
 
Gesamter Abend (Komplette Aufzeichnung)