Montag, 28. September 2015

Die Rezeption des Differenzprinzips bei Kersting (2011)

Heute wollen wir ein Zitat aus Kerstings Buch "Theorien sozialer Gerechtigkeit" nehmen, in dem er über das von John Rawls bezeichnete Differenzprinzip eine interessante Bemerkung macht.

Die inhaltliche Bedeutung des Differenzprinzips kann man bei Wikipedia finden, hier der Link:


Jetzt die Bemerkung von Kersting dazu:

"Aber sicherlich wird es das Hauptziel des Differenzprinzips sein müssen, die
Kooperationsgemeinschaft nicht schrumpfen und nicht ausfransen zu lassen, der
Verknappung der Arbeit entgegenzuwirken und strukturelle Arbeitslosigkeit entschieden zu
bekämpfen. Daher, so sollte man meinen, gilt die gerechtigkeitsethische Hauptsorge des
Differenzprinzips gar nicht der Gestaltung von Umverteilungen und Transferzahlungen,
sonderm dem Arbeitsmarkt und der Arbeitsproduktivität. Gerade angesichts wachsender
Arbeitslosigkeit wird die Forderung nach der Maximierung des sozialen Minimums nicht zu
einer Strategie führen dürfen, die durch Verteuerung der Arbeit die Arbeitsproduktivität, die
Wertschöpfung pro Arbeitenden senkt, die eine Lohnzunahme begünstigt, die nicht hinter
dem Produktionsfortschritt zurückbleibt und daher - unter den gegebenen und überdies ja
auch gerechtigkeitsethisch vorzugswürdigen Bedingungen der Marktwirtschaft - keine neuen
Arbeitsplätze schaffen wird. Sondern das soziale Minimum, das die Aufmerksamkeit der
Gerechtigkeit verdient, muß unter dem Einfluß der Arbeitsverknappung neu definiert werden.
Wenn man den Gedanken akzeptiert, daß das Differenzprinzip gerade wegen seiner Sorge um
die sozio-ökonomische Position und der Selbstachtung der Schlechtestgestellten immer auch
ein Prinzip der Maximierung von Arbeitsplätzen, also ein Prinzip zur Verhinderung der
Schrumpfung der Kooperationsgemeinschaft sein muß, dann wird Gerechtigkeitspolitik all
das ins Auge fassen müssen, was in Politik und Wirtschaft signifikante arbeitsmarktpolitische
Negativauswirkungen produziert, das Initiativen strangulierende institutionelle Regelwerk der
Arbeitsgesellschaft, die Regulationsdichte der Vorschriften und Normen mit ihren
bürokratischen Begleitwucherungen ebenso wie die politischen Einwirkungen auf die
Arbeitskosten, sei es durch wirtschaftlich unvernünftige, überlebte Industrien an den
Steuertropf legende Subventionsprogramme, sei es durch die ganzen Bündel der
psychologischen wie ökonomischen Fehlanreize der expandierenden Sicherungssysteme des
Sozialstaats, sei es schließlich durch die unverdrossene Bereitschaft, die Steuern und
Abgaben der Bürger zu erhöhen,um die Klientengruppen des Wohlfahrtsstaates
zufriedenzustellen. S. 108f.

Erst mal langer Satz, wer es bis zum Ende geschafft hat UND auch verstanden hat: Herzlichen Glückwunsch!

;-)

Das ist halt typisch Kersting-Stil. Nicht einfach.

So, jetzt zum Inhalt.

Was ich ansprechen wollte, ist u.a. Kerstings Behauptung die Arbeit würde sich verknappen.

Dieses Argument hört man durchaus immer wieder aus verschiedenen politischen oder wissenschaftlichen Lagern. Meines Erachtens ist das aber zu ungenau.

Was Kersting nicht macht, ist den Begriff der Arbeit zu differenzieren.

Wir können von einer Dreiteilung der Arbeit sprechen, d.h. von drei verschiedenen Aspekten von Arbeit, die einen Teil der Wirklichkeit ausmachen und sich nicht auf die jeweils anderen Teile reduzieren lassen.

Die drei Bereiche nennen wir:

1. Erwerbsarbeit

2. Kulturarbeit

3. Eigenarbeit

Alle drei Bereiche haben einen eigenen Anspruch auf Wahrheit und können nicht aufeinander reduziert werden.

Der Punkt ist, Kersting bezieht sich in seinem Zitat auf Erwerbsarbeit, das machen seine Äußerungen ja deutlich, ohne das er sich aber bewußt ist, das er auf Erwerbsarbeit referiert.

Und hier kann man schon die erste Ungenauigkeit feststellen. Selbst wenn sich Erwerbsarbeit verknappen sollte, dann heißt das nicht das die Kulturarbeit und die Eigenarbeit auch knapper werden. Ganz gewiss nicht.

Zu den Begriffen: Kulturarbeit meint im Grunde die intersubjektive Arbeit des Menschen an und mit seinem Mitmenschen. Welche Werte wollen wir in einer Gesellschaft leben und vertreten. Das ist Kulturarbeit. Oder bezogen auf ein Unternehmen sprechen wir auch von Unternehmenskultur im allgemeinsten Sinne.

Eigenarbeit ist die Arbeit, die jeder selbst an sich richtet, die eigenen Erfahrungen betreffend, mit
Herausforderungen umgehen, wie man sich selbst sieht. Auch diese Arbeit wird, und da brauch ich kein Prophet sein - sich NIE verknappen.

Kersting nimmt also nur einen Teilausschnitt von Arbeit wahr und bezieht darauf das Differenzprinzip.

Vielleicht müsste auch das Differenzprinzip noch einmal eine Dreiteilung erfahren um sich auch auf die anderen Arten von Arbeit zu beziehen.

Der nächste Punkt ist, es mag sein, das sich Erwerbsarbeit verknappt, aber dann müsste man auch sagen, in welchen Bereichen genau das vonstatten gehen soll.

Worauf ich hinaus will, ist, als vor über 100 Jahren das Auto erfunden wurde, hat sich die Arbeit der
Droschkenkutscher erheblich verknappt - das war zwar ein Problem aber dafür entstand ja andere Arbeit, nämlich die Fließbandaarbeit in der Automobilhalle.

Insofern ist das mit der Arbeitsverknappung etwas kritischer zu beleuchten. Wir können zwar schon sagen, das sich vieles heute durch automatische Abläufe vermaschinisiert hat, aber das kann auch wiederum nur der Anfang von einer anderen Art von Arbeit mit sich bringen. Der Dienstleistungsektor scheint mir da z.B. besonders wichtig zu sein.

Also selbst wenn wir nur den Teilbereich der Erwerbsarbeit sehen, müssen wir uns bemühen, genauer zu sagen, wo wir Arbeitsverknappung sehen und damit rechnen, das sich andere Arbeitsfelder auftun von denen wir gestern noch nicht wußten, das es sie mal geben wird.

Doch selbst wenn wir davon ausgehen, das sich Erwerbsarbeit verknappt, dann bleibt dennoch die Frage, warum soll das jetzt ein Problem sein das wir nur lösen könnten, indem wir alles tun, um wieder Erwerbsarbeit für alle zu ermöglichen. Stichwort Vollbeschäftigung. Vielleicht ist es auch ganz gut, das wir Erwerbsarbeit nur einen Teil unseres Lebens widmen (im Grunde tun wir das ja schon) und deshalb unsere sozialen Strukturen eben darauf ausrichten.

Da ich ja schon etwas weiter im Buch von Kersting gelesen habe, fand ich es ganz spannend, als er in einem späteren Abschnitt beispielsweise den Begriff der Bürgerarbeit ins Spiel brachte. Also hat Kersting eigentlich schon selber etwas seine hier geäußerten Worte relativiert. Er bringt es nur leider nicht in einen Zusammenhang.

Ich hoffe, ich schaffe es, das Zitat auch noch zu erwähnen. Es ist ungemein interessant. Dazu aber später.

von onlineredakteur @ 21.12.11 - 21:11:16

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