"Stile
folgen nicht aufeinander wie Wellen und Pulsschläge. Mit der Persönlichkeit
einzelner
Künstler,
ihrem Willen und Bewußtsein haben sie nichts zu schaffen. Im Gegenteil, der
Stilist es, welcher den Typus des Künstlers schafft. Der Stil ist wie die Kultur ein Urphänomen
im strengsten Sinne Goethes, sei es der Stil von Künsten, Religionen, Gedanken oder der Stil
des Lebens selbst. So gut "Natur" ein immer neues Erlebnis des wachen Menschen ist, als
sein alter ego und Spiegelbild in der Umwelt, so der Stil. Deshalb kann es im historischen
Gesamtbilde einer Kultur nur einen, den Stil dieser Kultur, geben. Es war falsch, bloße
Stilphasen wie Romanik, Gotik, Barock, Rokoko, Empire als eigene Stile zu unterscheiden
und mit Einheiten von ganz anderem Range wie dem ägyptischen, chinesischen Stil oder gar
einem "prähistorischen Stil" gleichzusetzen. Gotik und Barock: das ist Jugend und Alter
desselben Inbegriffs von Formen, der reifende und der gereifte Stil des Abendlandes. Es fehlt
unserer Kunstforschung in diesem Punkte an Distanz, an der Unbefangenheit des Blickes und
dem guten Willen zur Abstraktion. Man hat es sich bequem gemacht und alle stark
empfundenen Formgebiete unterschiedslos als "Stile" aufgereiht. Daß auch hier das Schema
Altertum-Mittelalter-Neuzeit den Blick verwirrte, braucht kaum erwähnt zu werden. In der
Tat steht selbst ein Meisterwerk der strengsten Renaissance wie der Hof des Palazzo Farnese
der Vorhalle von St. Patroklus in Soest, dem Innern des Magdeburger Doms und den
Treppenhäusern süddeutscher Schlösser des 18. Jahrhunderts unendlich viel näher als dem
Tempel von Pästum oder dem Erechtheion. S. 265f."
Spengler
gibt sich viel Mühe, seine Sichtweise zu untermauern aber ich glaube, er hat
wie so häufig das Kind mit dem
Bade ausgeschüttet.
Die
bereits entwickelte Sichtweise von Altertum-Mittelalter-Neuzeit muß gar nicht
im Widerspruch zu seinen eigenen
Ansichten stehen. Nämlich wenn Spengler erkannt hätte, das es so etwas wie
Entwicklung gibt, von einem
Zeitalter zum nächsten.
Da
Spengler aber nur eine horizontale Entwicklung sah, nämlich die von
Geburt-Kindheit-Jugend-Alter und keine
vertikale im Sinne von immer umfassender, immer bewußter werdend, lehnte er
diese Betrachtung der Entwicklung
jedweden Phänomens, sei es nun Architektur, Wirtschaft, Mathematik mit der
Angabe von Altertum-Mittelalter-Neuzeit
ab.
Das läßt
dann die Frage offen, ja was ist denn der Stil, wie kann er in der Lage sein,
Künstler zu beeinflussen und nur
so und nicht in die andere Richtung.
Das ist
natürlich nicht haltbar, statt nur eine Richtung zu sehen, muß man zwei
Richtungen sehen. Der Künstler
beeinflusst den Stil und der Stil, das Zeitalter in dem er lebt beeinflußt ihn.
Es sind zwei Prozesse zur gleichen
Zeit, die da stattfinden.
Spengler
kann nirgendwo auch nur ansatzweise aufzeigen, wo denn nun sein Stil, oder die
Kultur herkommt, die da
als Urphänomen so auftaucht und den Menschen beeinflussen soll.
Selbstverständlich
tut sie das aber in ständiger Wechselwirkung mit den Menschen, die die Kultur
ja erst hervorbringen.
von
onlineredakteur @ 24.10.11 - 21:04:31
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