Heute
wollen wir ein Zitat aus Kerstings Buch "Theorien sozialer
Gerechtigkeit" nehmen, in dem er über das von John
Rawls bezeichnete Differenzprinzip eine interessante Bemerkung macht.
Die
inhaltliche Bedeutung des Differenzprinzips kann man bei Wikipedia finden, hier
der Link:
Jetzt die
Bemerkung von Kersting dazu:
"Aber
sicherlich wird es das Hauptziel des Differenzprinzips sein müssen, die
Kooperationsgemeinschaft
nicht schrumpfen und nicht ausfransen zu lassen, der
Verknappung
der Arbeit entgegenzuwirken und strukturelle Arbeitslosigkeit entschieden zu
bekämpfen.
Daher, so sollte man meinen, gilt die gerechtigkeitsethische Hauptsorge des
Differenzprinzips
gar nicht der Gestaltung von Umverteilungen und Transferzahlungen,
sonderm
dem Arbeitsmarkt und der Arbeitsproduktivität. Gerade angesichts wachsender
Arbeitslosigkeit
wird die Forderung nach der Maximierung des sozialen Minimums nicht zu
einer
Strategie führen dürfen, die durch Verteuerung der Arbeit die
Arbeitsproduktivität, die
Wertschöpfung
pro Arbeitenden senkt, die eine Lohnzunahme begünstigt, die nicht hinter
dem
Produktionsfortschritt zurückbleibt und daher - unter den gegebenen und
überdies ja
auch
gerechtigkeitsethisch vorzugswürdigen Bedingungen der Marktwirtschaft - keine
neuen
Arbeitsplätze
schaffen wird. Sondern das soziale Minimum, das die Aufmerksamkeit der
Gerechtigkeit
verdient, muß unter dem Einfluß der Arbeitsverknappung neu definiert werden.
Wenn man
den Gedanken akzeptiert, daß das Differenzprinzip gerade wegen seiner Sorge um
die
sozio-ökonomische Position und der Selbstachtung der Schlechtestgestellten
immer auch
ein
Prinzip der Maximierung von Arbeitsplätzen, also ein Prinzip zur Verhinderung
der
Schrumpfung
der Kooperationsgemeinschaft sein muß, dann wird Gerechtigkeitspolitik all
das ins
Auge fassen müssen, was in Politik und Wirtschaft signifikante
arbeitsmarktpolitische
Negativauswirkungen
produziert, das Initiativen strangulierende institutionelle Regelwerk der
Arbeitsgesellschaft,
die Regulationsdichte der Vorschriften und Normen mit ihren
bürokratischen
Begleitwucherungen ebenso wie die politischen Einwirkungen auf die
Arbeitskosten,
sei es durch wirtschaftlich unvernünftige, überlebte Industrien an den
Steuertropf
legende Subventionsprogramme, sei es durch die ganzen Bündel der
psychologischen
wie ökonomischen Fehlanreize der expandierenden Sicherungssysteme des
Sozialstaats,
sei es schließlich durch die unverdrossene Bereitschaft, die Steuern und
Abgaben
der Bürger zu erhöhen,um die Klientengruppen des Wohlfahrtsstaates
zufriedenzustellen.
S. 108f.
Erst mal
langer Satz, wer es bis zum Ende geschafft hat UND auch verstanden hat:
Herzlichen Glückwunsch!
;-)
Das ist
halt typisch Kersting-Stil. Nicht einfach.
So, jetzt
zum Inhalt.
Was ich
ansprechen wollte, ist u.a. Kerstings Behauptung die Arbeit würde sich
verknappen.
Dieses
Argument hört man durchaus immer wieder aus verschiedenen politischen oder
wissenschaftlichen Lagern.
Meines Erachtens ist das aber zu ungenau.
Was
Kersting nicht macht, ist den Begriff der Arbeit zu differenzieren.
Wir
können von einer Dreiteilung der Arbeit sprechen, d.h. von drei verschiedenen
Aspekten von Arbeit, die einen
Teil der Wirklichkeit ausmachen und sich nicht auf die jeweils anderen Teile
reduzieren lassen.
Die drei
Bereiche nennen wir:
1.
Erwerbsarbeit
2.
Kulturarbeit
3.
Eigenarbeit
Alle drei
Bereiche haben einen eigenen Anspruch auf Wahrheit und können nicht aufeinander
reduziert werden.
Der Punkt
ist, Kersting bezieht sich in seinem Zitat auf Erwerbsarbeit, das machen seine
Äußerungen ja deutlich,
ohne das er sich aber bewußt ist, das er auf Erwerbsarbeit referiert.
Und hier
kann man schon die erste Ungenauigkeit feststellen. Selbst wenn sich
Erwerbsarbeit verknappen sollte,
dann heißt das nicht das die Kulturarbeit und die Eigenarbeit auch knapper
werden. Ganz gewiss nicht.
Zu den
Begriffen: Kulturarbeit meint im Grunde die intersubjektive Arbeit des Menschen
an und mit seinem Mitmenschen.
Welche Werte wollen wir in einer Gesellschaft leben und vertreten. Das ist
Kulturarbeit. Oder bezogen
auf ein Unternehmen sprechen wir auch von Unternehmenskultur im allgemeinsten
Sinne.
Eigenarbeit
ist die Arbeit, die jeder selbst an sich richtet, die eigenen Erfahrungen betreffend,
mit
Herausforderungen
umgehen, wie man sich selbst sieht. Auch diese Arbeit wird, und da brauch ich
kein Prophet
sein - sich NIE verknappen.
Kersting
nimmt also nur einen Teilausschnitt von Arbeit wahr und bezieht darauf das
Differenzprinzip.
Vielleicht
müsste auch das Differenzprinzip noch einmal eine Dreiteilung erfahren um sich
auch auf die anderen
Arten von Arbeit zu beziehen.
Der
nächste Punkt ist, es mag sein, das sich Erwerbsarbeit verknappt, aber dann
müsste man auch sagen, in welchen
Bereichen genau das vonstatten gehen soll.
Worauf
ich hinaus will, ist, als vor über 100 Jahren das Auto erfunden wurde, hat sich
die Arbeit der
Droschkenkutscher
erheblich verknappt - das war zwar ein Problem aber dafür entstand ja andere
Arbeit, nämlich
die Fließbandaarbeit in der Automobilhalle.
Insofern
ist das mit der Arbeitsverknappung etwas kritischer zu beleuchten. Wir können
zwar schon sagen, das sich
vieles heute durch automatische Abläufe vermaschinisiert hat, aber das kann
auch wiederum nur der Anfang
von einer anderen Art von Arbeit mit sich bringen. Der Dienstleistungsektor
scheint mir da z.B. besonders
wichtig zu sein.
Also
selbst wenn wir nur den Teilbereich der Erwerbsarbeit sehen, müssen wir uns
bemühen, genauer zu sagen, wo
wir Arbeitsverknappung sehen und damit rechnen, das sich andere Arbeitsfelder
auftun von denen wir
gestern noch nicht wußten, das es sie mal geben wird.
Doch
selbst wenn wir davon ausgehen, das sich Erwerbsarbeit verknappt, dann bleibt
dennoch die Frage, warum
soll das jetzt ein Problem sein das wir nur lösen könnten, indem wir alles tun,
um wieder Erwerbsarbeit
für alle zu ermöglichen. Stichwort Vollbeschäftigung. Vielleicht ist es auch
ganz gut, das wir Erwerbsarbeit
nur einen Teil unseres Lebens widmen (im Grunde tun wir das ja schon) und
deshalb unsere sozialen
Strukturen eben darauf ausrichten.
Da ich ja
schon etwas weiter im Buch von Kersting gelesen habe, fand ich es ganz
spannend, als er in einem späteren
Abschnitt beispielsweise den Begriff der Bürgerarbeit ins Spiel brachte. Also
hat Kersting eigentlich schon
selber etwas seine hier geäußerten Worte relativiert. Er bringt es nur leider
nicht in einen Zusammenhang.
Ich
hoffe, ich schaffe es, das Zitat auch noch zu erwähnen. Es ist ungemein
interessant. Dazu aber später.
von
onlineredakteur @ 21.12.11 - 21:11:16